Dornentöchter
sie fügsam zu machen. »Nun, dann solltest du wohl auf deine Mutter hören und nicht in den Keller gehen. Vielleicht hast du missverstanden, was sie gesagt hat? Es wäre ziemlich schwierig, einen Tasmanischen Teufel gefangen zu halten, Thomasina.«
»Er ist da«, beharrte Thomasina. »Ich habe ihn gehört. Ein grunzendes, schreckliches Geräusch.« Ihr Blick drückte ganz deutlich aus: Was verstehst du schon davon? Sie riss sich die Mütze vom Kopf. Beim Anblick ihrer Haare schnappte ich erschrocken nach Luft. Sie war am Hinterkopf bis auf die Kopfhaut geschoren worden, so dass nur vorne einige lange Strähnen geblieben waren.
»Mummy hat das gemacht«, sagte sie. »Ich habe geschrien und nach ihr getreten. Daddy hat gesagt, es wächst nach. Ich hasse Mummy! Ich wünschte, sie wäre tot. Wenn Mummy tot wäre, dann wäre ich glücklich. Eines Tages laufe ich weg, dahin, wo mich niemand finden kann! Ich werde mir eine andere, nette Mummy suchen!«
»So darfst du nicht reden«, schalt ich sie. »Es ist eine Sünde, so über seine Eltern zu sprechen.«
»Dich hasse ich auch. Ich wünschte, du wärst tot wie Mummy!«
Mit diesen Worten drehte sie mir den Rücken zu und wanderte auf der Suche nach Muscheln weiter den Strand entlang. Ich blieb mit einer Mischung aus Mitleid und Abneigung zitternd zurück. Wäre sie nicht so kratzbürstig gewesen, hätte ich mich vielleicht mehr für sie erwärmt. Ich wusste nur, dass ich sie nicht mochte. Ehrlich gesagt fürchtete ich mich vor ihr. Sie war Pearl einfach zu ähnlich. Wenn es sich um Marguerite gehandelt hätte, hätten wir uns die Zeit mit Geschichten über Meerjungfrauen, Piraten und Ozeanelfen vertreiben können. Marguerite war so ein sanftes, unkompliziertes Kind.
Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis Pearl wieder zu uns stieß. Ihre Wangen waren gerötet. »Es geht doch nichts über stille Einkehr, um die Spinnweben zu vertreiben«, sagte sie. Mein Blick wanderte zum Vorderteil ihrer Bluse, das nun falsch geknöpft war. Sie grinste, als sie mich ertappte, wie ich auf ihre Brust starrte, und steckte sich eine weitere Zigarette an.
»Thomasina hat mir erzählt, dass du einen Teufel im Keller hältst«, wagte ich zu sagen.
»Ja. Lustig, nicht wahr? Ich habe vor, den kleinen Kerl von Hand aufzuziehen und ihn an einer Leine in Pencubitt spazieren zu führen. Dann haben sie mal was anderes zu reden als immer dieselbe alte Leier über meine Unzucht. Ich werde ihn Samuel nennen und ihm einen Rüschenkragen um den Hals binden. Er ist wirklich süß.« Es gab Zeiten, da war es unmöglich festzustellen, wann Pearls Phantasie an die Stelle der Realität trat. Sie konnte so phantasievoll und selbstvergessen sein wie ein Kind – vielleicht war das der Schlüssel zu ihrem tragischen Schicksal. Wie ein Kind nahm Pearl sich, was immer sie wollte, ohne sich dabei der möglichen Folgen ihrer Taten bewusst zu sein. Doch wie wir alle herausfinden sollten, waren die Konsequenzen ihres Verhaltens entsetzlich.
Dieser November (ein wesentlich kälterer und stürmischerer November als gewöhnlich) war rückblickend wohl der Anfang vom Ende. In weniger als acht Monaten würde Pencubitt den Verlust von Pearls Liebhaber, Teddy, betrauern, und kurz darauf Pearl selbst.
KAPITEL 9
Ein Engel im Poet’s Cottage
Pencubitt, Dezember 1935
Emily McCarthy, das Mädchen vom Ort, das Maxwell angestellt hatte, um Pearl bei Haushalt und Kinderbetreuung zu helfen (in Pearls Worten: die Bälger ruhigzustellen, während sie schrieb), war eine korpulente junge Frau mit Kurven, wie sie gerade gar nicht modern waren. Sie trug ihr langes blondes Haar zu einem unordentlichen Knoten hochgesteckt und ihr schiefes Lächeln entblößte einige fehlende Zähne. Ihr einziges Schönheitskapital war ihr Teint, der ganz glatt war und schimmerte wie Mondschein. Wie viele in Pencubitt hatte sie die Schule früh verlassen, da sie sich um ihre Brüder und Schwestern kümmern musste, zwölf an der Zahl, doch obwohl sie nicht sonderlich helle war, erledigte sie ihre Pflichten zweifellos sehr tüchtig. Thomasina und Marguerite himmelten sie an. In Emilys Gegenwart verwandelte sich sogar Thomasina in ein völlig anderes Mädchen.
Pearl, die ihre nervtötende Angewohnheit, den Leuten Spitznamen zu geben, nicht ablegen konnte, taufte sie »Angel«. Ich fand das Spiel irgendwie ermüdend, denn Pearl tauschte die Namen nach Belieben aus und war dann beleidigt, wenn man seinen vergaß. Ich hielt Emily für ein wenig zu derb, um
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