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Dornentöchter

Dornentöchter

Titel: Dornentöchter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Josephine Pennicott
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Mutter würde fuchsteufelswild werden, wenn ich sie mitten im Marmeladekochen allein ließ, doch die Vorstellung, wie sie Pearl im Haus nicht von der Seite weichen würde, voll selbstgefälliger biblischer Feindseligkeit, machte mich verwegen. Außerdem würde ich vor Scham sterben, wenn Pearl unser schäbiges Cottage sah.
    »Nicht hier.« Ich zog meine Schürze aus. »Mutter geht es nicht gut. Wir können am Strand spazieren und uns unterhalten.« Der Himmel war grau. Es würde regnen, aber mir war es egal, und ich wusste, dass Pearl gern bei jedem Wetter draußen war.
    »Birdie!« Mutters Stimme war so scharf wie der Schnabel einer Elster. Ich würde später dafür bezahlen müssen. »Wo gehst du mit dieser Frau hin? Birdie! Ich rede mit dir. Birdie, komm zurück. Es wird regnen, du gottloses Gör. Du wirst dich erkälten!«
    Die Vorhänge bewegten sich an den Fenstern der Cottages, an denen wir vorbei gingen.
    »Sieh sie dir nur an«, murmelte Pearl. Sie drohte mit der Faust und streckte meinen Nachbarn die Zunge raus. Der Wind fuhr ihr ins Haar und peitschte etwas Farbe in ihr blasses Gesicht. Obwohl ich sie dafür bewunderte, dass sie sich traute, was ich mir seit Jahren insgeheim wünschte, beunruhigte mich ihr extremes Verhalten trotzdem. Was war nur los mit dieser Frau? »Vertrocknete Vogelscheuchen, die nichts Besseres zu tun haben, als zu glotzen und andere zu verurteilen!«, rief sie in Richtung der Häuser.
    Als wir uns dem Strand näherten, griff sie nach meiner Hand, und ich konnte die Knöchelchen in ihrer winzigen, kindlichen Hand spüren. Leicht hätte ich sie in meiner zerquetschen können. »Warum hasst deine Mutter mich so sehr?«, fragte sie plötzlich. »Was zum Henker habe ich ihr getan? Sie hat noch keine zehn Worte mit mir gewechselt, aber sie hasst mich. Warum?«
    Die Verletztheit in ihrem Tonfall überraschte mich. »Du verkörperst alles, was sie verachtet und fürchtet«, antwortete ich. »Sie versucht, sich an die Zehn Gebote zu halten.«
    »Ja, und was ist mit ›Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten‹? Würdest du bitte versuchen, Schritt zu halten, Thomasina!«, herrschte sie ihre Tochter an, die stehen geblieben war, um einer Gruppe Kinder auf der Straße beim Spielen zuzusehen. »Sie macht das absichtlich!«, zischte sie mir zu. »Entweder trödelt sie herum wie eine Schnecke auf Krücken oder rennt voraus, so dass ich nicht nachkomme. Sie tut es, weil sie weiß, dass es mich verrückt macht!« Sie schloss die Augen und atmete ein paar Mal tief durch. Eine Ader pochte an ihrer Schläfe. »Thomasina schafft es immer, dass ich eine von meinen Kopfwehattacken bekomme. Sie ist ein verschlagenes, böses, niederträchtiges Kind!« Thomasina tat mir beinahe leid, so hart waren Pearls Worte. Ja, die Kleine war mürrisch – aber verdiente sie deshalb diese konstante, verletzende Kritik?
    Von dort, wo wir standen, konnten wir das Poet’s Cottage und in der anderen Richtung den Bahnhof sehen. Gerade fuhr ein Dampfzug in einer dichten Rauchwolke und mit langgezogenem Tuten los. Das Geräusch war allen in Pencubitt vertraut und weckte in mir jedes Mal angenehme Assoziationen ans Reisen, an neue Möglichkeiten, an ein anderes Leben an einem anderen Ort. Ich liebte es, dem abfahrenden Zug nachzusehen, dessen Insassen sich winkend aus den Fenstern beugten, um sich von ihren Angehörigen am Bahnsteig zu verabschieden. Mutter mochte den Anblick einst ebenfalls, ehe sie beschloss, dass Züge gottlos waren.
    »Ich wünschte, ich säße in diesem Zug.« Pearl ließ meine Hand los, packte Thomasina am Arm und schleifte sie über den Sand. »Ich würde alles tun, um dieser Stadt zu entkommen. Selbst eine Rückkehr nach Hobart wäre besser als das hier. Ich habe diesen ganzen kleingeistigen, engstirnigen Tratsch hinter meinem Rücken so satt. Ich könnte mir die eigenen Augen ausstechen. Alles, was die Leute hier interessiert, ist, was es zum Abendessen gibt. Sago oder Kartoffeln? Oh, meine Liebe, der Preis für Butter, unfassbare Sixpence, und das Brot zwei Pence der Laib – behalt die Butter, reich mir das Bratfett und rate mal, wer hier wen vernascht!«
    »Bitte, red doch nicht so vor Thomasina«, bat ich angeekelt.
    »Du bist bloß eine jüngere Version deiner Mutter!«, gab Pearl zurück. »Spider hat recht, niemand hat je seine Hände in die Nähe deines Schlüpfers gebracht, um dir einzuheizen. Ich wette, du betest zu deinem geliebten Jesus, er möge dir deine lüsternen

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