Dornentöchter
ihrem abscheulichen Zorn und ihren wilden Reden. Sie wirkte völlig von Sinnen, zu allem fähig.
»Mummy? Können wir jetzt gehen? Mir ist kalt.« Das Kind war es leid geworden, die Möwen zu quälen, und beobachtete uns.
»Nein, können wir nicht«, fuhr Pearl sie an. »Bleib hier, solange ich zum Nachdenken in Bradley’s Cave gehe. Ich bin bald zurück. Aunty Birdie wird auf dich aufpassen.« Pearl sah mich scharf an, als wolle sie meinen Widerspruch herausfordern.
Wie alle, die in Pencubitt aufgewachsen waren, hatte ich als Kind in den Höhlen entlang der Küste gespielt. Die größte von ihnen war nach dem tasmanischen Buschranger Larry Bradley benannt. Es hieß, er habe monatelang dort gelebt, um sich vor der Polizei zu verstecken. Bradley’s Cave war für Kinder immer ein Lieblingsort gewesen.
»Bradley’s Cave? Was willst du dort?«, wagte ich zu fragen. Thomasina und ich warfen uns missmutige Blicke zu, da keine von uns auf die Gesellschaft der anderen erpicht war.
»Bitte, Tricky! Ich hatte wirklich den denkbar lausigsten Tag. Und dieser talentbefreite Edgar Cabret hat eben einen weiteren Haufen hoffnungsloser Kenny-Zeichnungen geschickt! Warum ich keinen anständigen Illustrator haben kann, werde ich nie begreifen. Da könnte ich selbst es ja noch besser. Sogar sie könnte es besser.« Pearl zeigte auf Thomasina, die finster dreinblickte und ein Büschel Seegras mit den Füßen zerrupfte.
Ich biss mir auf die Zunge, da ich wusste, wie sinnlos es war, Pearl zu widersprechen, wenn sie einen ihrer Anfälle hatte. Natürlich war es ebenfalls sinnlos zu erwähnen, dass ja auch ich in Frage gekommen wäre, um einige ihrer Silbertal-Geschichten zu illustrieren. Denn in Pearls Augen war sie die kreative Künstlerin und ich Maxwells alte Freundin, die langweilige Bücher über historische Gebäude schrieb. Sie hätte mir nie irgendwelche künstlerischen Fähigkeiten zugestanden – und ganz gleich, ob Edgar Talent hatte oder nicht, ich wusste genau, dass ich ihren Figuren gerechter werden würde. Die Zeichnungen des Illustrators aus Sydney riefen oft heftige Ausbrüche bei Pearl hervor. Sie war mit seinen Interpretationen ihrer Figuren nie zufrieden. Das hitzige Paar stürzte sich gerne per Post in ausgedehnte Streitereien, bei denen es um absolute Kleinigkeiten ging und die dem Verlag sicher endloses Kopfzerbrechen bereiteten.
Ich hielt Pearl für kindisch, weil sie darauf beharrte, dass Kenny eine rote Fliege trug statt der goldenen, mit der Edgar ihn gerne darstellte. Dieses winzige Detail konnte bei ihr stundenlange Schimpftiraden auslösen.
»Bitte, Tricky, bitte . Ich muss meine Gedanken ordnen. Länger als eine Viertelstunde brauche ich nicht. Sei ein guter Kumpel!«
Im Nachhinein betrachtet muss mir die wahre Bedeutung ihres »Nachdenkens« in Bradley’s Cave durchaus bewusst gewesen sein. Ein Gefühl der Vorahnung überkam mich – fast wie ein Unheilsbote –, als ich zum Eingang der Höhle hinblickte, der sich nur einen Steinwurf von uns entfernt zwischen Brombeergestrüpp und Farnen befand. Als ich dorthin starrte, hatte ich den seltsamen Eindruck, dass jemand anderes mein Starren erwiderte.
»Pearl, bitte geh nicht!« Ich streckte die Hand aus, um sie zurückzuhalten. »Bleib bei mir und rede darüber.« Verächtlich schüttelte sie meine Hand ab. »Dann beeil dich!«, rief ich ihr hinterher.
Thomasina beobachtete mich argwöhnisch, während sie eine tote Qualle anstupste. Ich war in Gegenwart von Pearls älterer Tochter immer unsicher gewesen. Marguerite war die Art von Kind, die in einem den Wunsch nach einem eigenen kleinen Mädchen weckte. Thomasina hatte die entgegengesetzte Wirkung. Ihr direkter Blick, der sich einem ins Innerste zu bohren schien – und einen als unzulänglich befand –, brachte einen aus der Fassung. Sie zeigte selten Gefühle und wirkte viel älter, als sie war.
»Mummy hat einen Teufel«, verkündete sie nun.
Wollte sie damit ausdrücken, dass Pearl besessen war? Sicher nicht.
»Im Keller. Einer der Fischer hat ihn Mummy geschenkt. Sie hält ihn dort angekettet. Er ist Mummys spezieller Vertrauter, wie bei den alten Hexen mit ihren Katzen. Sie sagt, wenn wir in den Keller gehen, frisst er uns. Die fressen nämlich Kinder!«
»Ein Tasmanischer Teufel?« Ich war beeindruckt, wie viel Mühe Pearl sich machte. Ihre Vorlieben waren dermaßen makaber, und sie genoss es sicherlich, ihre Töchter mit wilden Geschichten über einen zahmen Teufel zu erschrecken, um
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