Dornentöchter
doch nicht verkneifen, ich musste einfach fragen: »Hattest du einen Unfall, Angel?«
Das erbärmliche Ding warf mir einen lauernden Blick zu. »Unfall? Ja, ich bin neulich abends gegen eine Tür gelaufen.«
Ich sah sie eindringlich an. »Wirklich? Wie seltsam. Ich habe noch nie eine solche Verletzung von einer Tür gesehen.« Mir fielen die Worte meiner Mutter wieder ein, dass Angel sich aufspielte und Maxwell schöne Augen machte. Auf einmal wurde ich unheimlich wütend auf sie. Wie konnte sie, ein einfaches, ungebildetes Mädchen, mit ihrem derben Dialekt und ihrer plumpen Art annehmen, sie habe irgendeine Beziehung zu Maxwell? Ich musste wieder an seine Hand auf ihrer Brust denken – wie Angel auf den Trauben herumgekaut hatte wie eine fette, wiederkäuende Kuh, als er sie berührte – und ich hätte sie am liebsten auch geschlagen.
»Komm jetzt, Angel!« Thomasina zog an ihrer Hand. »Waspy wird sauer, wenn wir uns verspäten.«
Waspy? Pearls neuer Kosename vermutlich. Angel war bereits in einen geheimen Spitznamen eingeweiht, von dem ich ausgeschlossen war.
Als Thomasina sie ansprach, zuckte Angel verängstigt zusammen und griff nach den Händen der Mädchen, wie um mit ihnen davonzueilen. Marguerite stand einen Moment lang da und starrte mich an. »Kommst du uns bald besuchen, Auntie Birdie?«
»Sei kein Baby«, schimpfte Thomasina mit ihr. »Sie ist nicht unsere richtige Tante. Sie ist bloß … eigentlich niemand.«
Sie ist niemand. Ich stand da, sah ihnen nach und fragte mich, wo diese Formulierung hergekommen war. Wiederholte Thomasina etwas, das Pearl gesagt hatte?
Ein paar Wochen vor Weihnachten beschloss ich, wie es die Jahreszeit gebot, als freundschaftliche Geste das Poet’s Cottage zu besuchen. Maxwell öffnete mir die Tür. Er trug seine weiße Kricket-Kleidung. »Birdie! Wo hast du bloß gesteckt, schöne Frau? Es kommt mir wie eine Ewigkeit vor, seit wir dich das letzte Mal gesehen haben! Pearl hat neulich schon nach ihrer Tricky gefragt.«
»Ich habe in Blackness House gearbeitet«, antwortete ich, was der Wahrheit entsprach. Mir fiel auf, wie gut Maxwell in Weiß aussah. Von oben hörte ich die Schreibmaschine klappern, und aus der Küche klangen Stimmen herüber. »Komme ich ungelegen, Maxwell?«
»Du lieber Himmel, nein, du kommst nie ungelegen, Tricky. Komm rein. Pearl arbeitet, aber wir können uns ja in der Küche unterhalten. Hast du schon irgendwelche Geister gesehen drüben in Blackness?«
Wir betraten die Küche, wo eine gelangweilt wirkende Violet Bydrenbaugh in einem fliederfarbenen Kleid mit knallroten Lippen zusammen mit Teddy Stephens am Tisch saß. »Ich muss sagen, ich finde es ganz schön öde von Pearl, mich hierher einzuladen und dann einfach zum Schreiben zu verschwinden«, nölte sie. »Sie hat gesagt, sie ist nur zehn Minuten weg, aber jetzt ist es bald eine Stunde! Es ist ja nicht so, als hätte ich nichts Besseres zu tun.«
Ich setzte mich neben sie, woraufhin sie mich mit einem kühlen Nicken bedachte. Offensichtlich hatte sie mir immer noch nicht verziehen, dass ich mich bei unserer letzten Begegnung so für Geschichte begeistert hatte.
»Ihr erinnert euch beide an meine gute Freundin Birdie?«, fragte Maxwell.
Teddy Stephens grunzte seine Zustimmung. Ich fragte mich, weshalb er hier war. War es Maxwell wirklich egal, dass Pearl ihre Untreue so offen zur Schau stellte? Wo blieb sein Stolz? Ich konnte Alkohol im Atem des Fischers riechen, obwohl es noch früh war. Ich betrachtete sein Gesicht und fragte mich dabei, warum Pearl ihn wohl attraktiv fand. Auf mich wirkte er derb, nicht so gutaussehend und kultiviert wie Maxwell. Außerdem bekam Teddy kaum mehr als fünf Worte raus.
»Ich habe Sie neulich gesehen«, sagte Violet zu mir. »Sie sind in der Nähe der alten Kapelle von Blackness House rumgekrochen. Da sollten Sie besser vorsichtig sein. Man hat auf dem alten Friedhof Nester von Tigerottern gefunden. Von den Geistern ganz zu schweigen.«
»Es ist so friedlich dort«, gab ich zurück. »Die Geister machen mir nichts aus und die Schlangen auch nicht.« Es sind die Lebenden, die mir Angst machen, dachte ich.
Violet zeigte auf die selbstgebastelten Papiergirlanden und Untertassen mit Klebstoff, die den Küchentisch bedeckten. »Ich bin hergekommen, um Pearl und den Mädchen beim Basteln von Weihnachtsschmuck zu helfen, aber natürlich fanden sie das alles langweilig und sind weggerannt. Pearl wurde von ihrer Muse wie von einer summenden Wespe
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