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Dornröschen schlief wohl hundert Jahr

Dornröschen schlief wohl hundert Jahr

Titel: Dornröschen schlief wohl hundert Jahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Staalesen
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heraus und pickten in den Tag. Weit entfernt hörte ich das Brummen eines Automotors. Ein dumpfes Geräusch, wie von einer Schiffswerft, wiederholte sich in unregelmäßigen Abständen. Ich ging zurück zum Sessel und zu dem CIA-Agenten, der mehr und mehr Ärger mit seiner Frau hatte. Sie hatte sich einen Liebhaber in Rom zugelegt, während er in Berlin herumlief und nach Spionen suchte.
    Die Zeiger bewegten sich auf meiner Armbanduhr auf Zehenspitzen im Kreis, wie um niemanden zu wecken. Draußen vor den Fenstern wurde der Himmel langsam zu Champagner – goldenem Champagner, mit Perlen von Juni in sich, Perlen von Sommer … Es war ein Morgen, um mit einer warmen und dankbaren Geliebten aufzuwachen, nicht mit einem neurotischen, drogensüchtigen Teenager, der bei der geringsten Gelegenheit das Weite suchen würde.
    Ich weckte Lisa gegen sechs Uhr und fragte, ob sie frühstücken wolle. Sie sah mich an, als sei ich nicht ganz bei Trost. Dann sagte ich ihr, sie solle sich anziehen, denn wir würden nach Hause fahren. Aber sie verstand nicht, was ich sagte. Sie verstand meine Worte nicht, und »nach Hause« war ein Schimpfwort, das sie noch nicht gelernt hatte. Das Einzige.

6
    Das Taxi hielt direkt vor dem Hoteleingang. Ich hielt ihr die Tür auf, schlug sie fest wieder zu und ging um den Wagen herum, um auf der anderen Seite einzusteigen. In dem Moment, als ich die Tür öffnete, sprang sie aus dem Wagen und lief die Straße hinunter.
    »Scheiße!«, sagte ich und bat den Fahrer zu warten. Dann warf ich mich um die Kühlerhaube herum und setzte ihr nach.
    Es war ein ungleiches Rennen. Sie war zwar gut zwanzig Jahre jünger als ich, aber ihr Körper war vom Gift geschwächt, und ihre Kondition war miserabel. Schon nach einer halben Minute hatte ich sie eingeholt.
    Ich fasste sie am Oberarm und hielt sie fest. Sie hämmerte mit ihren kleinen Fäusten auf meine Hände ein. Ein Mann in grauem Anzug mit goldener Brille schaute blasiert zu uns hinüber, als sähe er solche Auftritte jeden Morgen auf dem Weg ins Büro. Vielleicht war das auch so. Kopenhagen hatte sich verändert.
    Ich sagte: »Beruhige dich, Lisa. Du kommst so nicht davon. Wir fahren nach Hause, und was du danach tust, ist deine Sache – und die deiner Eltern. Mein Auftrag ist erledigt, wenn ich dich nach Hause gebracht habe, und das werde ich auch tun. Also lass uns Frieden schließen, ja? In ein paar Stunden sind wir in Bergen, und diese Stadt hier …«, ich sah mich um, »ist die Kulisse eines vergangenen Albtraums.«
    Sie bedachte mich erneut mit einer phantasievollen Auswahl von Flüchen, ließ sich aber zurück zum Taxi führen. Der Taxifahrer hatte ein Gesicht wie ein gealterter Bluthund, mit braunen, traurigen Augen und tiefen, betrübten Falten. Auf dem Weg nach Kastrup erzählte er mir, wie hart der Winter hier unten gewesen war. Ich sagte, dass er oben bei uns nicht viel besser gewesen sei. Das war auch eine Art der Verbrüderung über die Landesgrenzen hinaus. Lisa sagte kein Wort.
    Auch auf dem Weg durch das Gewimmel in Kastrup sagte sie nichts, und ich hielt sie fest am Oberarm, genau über dem Ellenbogen, als seien wir frisch verheiratet, auf dem Weg zur Hochzeitsreise und als wolle ich sie deshalb keine Sekunde loslassen. Ihr Gesichtsausdruck war resigniert.
    Im Flugzeug setzte ich sie auf den Fensterplatz und mich selbst daneben. Endlich hatte ich das Gefühl, mich ein wenig entspannen zu können. Ich ging davon aus, dass sie doch nicht professionell genug war, um das Flugzeug zu kapern und es nach Tanger, Katmandu oder sonst wohin zu zwingen.
    Die Stewardess war etwas älter als die Frauen, die sie normalerweise in ihren Annoncen vorzeigen. Sie hatte ein freundliches Netz frischer Fältchen im Gesicht, ihr blondes Haar zeigte dünne graue Strähnen und in ihren Augen war ein traurig munteres Funkeln, als sei sie soeben Witwe geworden, aber nicht sonderlich betrübt darüber. Sie sah aus, als hielte sie Lisa und mich für Vater und Tochter, denn sie wandte sich an mich als sie fragte, ob die junge Dame etwas zu trinken wünschte. Lisa würdigte sie keines Blickes, und ich sagte: »Noch nicht. Aber der alte Mann hätte nichts gegen ein Bier.«
    Sie lächelte, verschwand und kam nach einer Sekunde mit einer grünen Flasche auf einem kleinen runden Tablett zurück. Sowohl die Flasche als auch das Tablett waren beschlagen.
    Wir waren in der Luft. Zwischen vereinzelten Wolken zog Dänemark unter uns vorbei. An den steilen Klippen von

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