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Dornröschen schlief wohl hundert Jahr

Dornröschen schlief wohl hundert Jahr

Titel: Dornröschen schlief wohl hundert Jahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Staalesen
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sah es aus, als sei er kastriert worden. Aber das war er nicht. Er war intakt – wenn man von dem Blut absah, das er verloren hatte. Es kam aus einem langen Schnitt, der quer über seinen Unterleib verlief, als habe jemand versucht, ihn in zwei zu teilen, ungefähr in der Mitte. Seine Finger krampften sich um den Schnitt. Aber es war vergeblich gewesen.
    Vadheim sah auf ihn hinunter. Er war blass geworden, und um seinen Mund lag ein grimmiger Zug, als er wieder aufsah. »Wie heißt er?«
    »Peter Werner«, sagte ich, und meine Stimme klang, als spräche ich durch Kristall.
    »Hat er – Angehörige?«
    »Seine Eltern. Sie haben mich gebeten, nach ihm zu suchen. Ich …«
    »Danke, das reicht, Veum. Wir beide sprechen uns später noch. Allein.«
    Hinter mir hörte ich Roostrup eine Zigarette anzünden und den ersten hektischen Zug in seine Lungen husten. »Mein Gott«, murmelte er. »Mein Gott.«
    »Das sieht nicht schön aus«, sagte Vadheim.
    »Nein«, sagte ich. Mehr war dazu nicht zu sagen. Es sah nicht schön aus.

18
    Ein paar Stunden lang herrschte Chaos. Ein Arzt kam und stellte fest, dass nichts mehr zu tun war, als die Todesursache festzustellen. Mit dem Zeitpunkt des Todes wollte er noch nicht herausrücken, außer dass es mindestens zehn bis zwölf Stunden her war. Die Spurensicherung begann das Zimmer, den Korridor, den Fahrstuhl, die nächste Toilette und das Bad, die Rezeption, den Bürgersteig vor dem Hotel und so weiter und so weiter bis ins Detail zu untersuchen. Die ersten Journalisten waren schon auf der Bildfläche erschienen, und Roostrup versuchte verzweifelt, das Ganze zu bagatellisieren, bat sie, diskret zu sein und das Hotel nicht mit Namen zu nennen. Sie sahen ihn mit lachenden Augen und schiefem Lächeln an. Die Fotografen machten Fotos von ihm. Seine Chancen, noch im Laufe dieses Tages einen erstklassigen Herzanfall zu bekommen, standen gut. Jemand hatte Peter Werners Eltern unterrichtet, und sie kamen beide. Håkon Werner war bleich, aber gefasst, und hielt seine Frau fast die ganze Zeit fest an der Hand. Vera Werner schwamm mit ihrem ganzen üppigen Körper auf einer hysterischen Welle, die noch nicht das Land erreicht hatte. Wenn sie es täte, würde sie wie ein Elefant losbrüllen. Vorläufig sah sie aus, als litte sie unter Höhenangst. Sie klammerte sich an ihren Mann, der mich kurz ansprach, kopfschüttelnd: »Es ist furchtbar, Veum. Dass es so enden musste. Es tut mir wirklich Leid – wenn Sie … Ich habe ja nicht geahnt …«
    »Das ist mein Job«, antwortete ich. »Ab und zu.«
    »Aber er sah schrecklich aus – wie kann ein Mensch … Nein, ich verstehe das nicht.«
    Vadheim überwachte das Ganze und watete mit unbeirrbarer Ruhe durch das Chaos. Er hatte in einem kleinen Aufenthaltsraum neben der Rezeption eine Art Zentrale eingerichtet. Die Salonmöbel darin waren verstaubt und bewiesen erneut, um was für eine Art Hotel es sich handelte. Dort sprach er mit den wenigen Gästen, mit zwei peinlich berührten Handelsreisenden und einer Frau in voller Kriegsbemalung, sowie dem Hotelpersonal: einem Zimmermädchen in den Fünfzigern und einer Art Hausmeister. Aber vor allem sprach er mit Willy Pedersen, dem Portier, und mit dem Ehepaar Werner.
    Ich selbst hielt mich am Rande des Chaos auf, in der Gegend des Hoteleingangs. Ich lief an der Tür hin und her, saugte alles ein, was es an frischer Luft gab. Die Luft hatte tatsächlich etwas Kühleres, und dünne, graubleiche Wolken zogen über den Himmel. Ein Wetterumschlag lag in der Luft. Es war mittlerweile Nachmittag, und vor der Tür kroch der Berufsverkehr vorbei. Viele Gesichter wandten sich dem Hotel zu, das von Menschen wimmelte und vor dem auffällige Polizeiwagen standen. Alles, was sie sahen, war Veum.
    Zum ersten Mal seit vielen Jahren hatte ich Lust auf eine Zigarette, und ich schnorrte mir eine bei Bøe. Ich zündete sie mit zitternden Händen an. Sie schmeckte wie welkes Gras, aber die weiße Papierhülle war jedenfalls etwas, an dem man sich festhalten konnte. Ich fand es zwar unglaublich lächerlich, so als würde man einen Zehner zusammenrollen, ihn sich zwischen die Lippen stecken und anzünden, aber verglichen mit dem, was irgendjemand mit Peter Werner getan hatte, war es absolut harmlos.
    Ein Taxi kam und holte die Werners ab. Als er seine Frau auf dem Rücksitz untergebracht hatte, kam Werner zu mir zurück und sagte: »Wir wollten – ich möchte gerne wissen, was Sie herausgefunden haben, Veum. Könnten Sie

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