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Dornroeschengift

Dornroeschengift

Titel: Dornroeschengift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Krystyna Kuhn
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zu dösen. Irgendwann endete auch diese Stunde. Aber Carlotta und Vale rie tauchten nicht wieder auf.
    Der Lärm auf dem Pausenhof wurde von durchdringendem Ge kreische übertönt. Ich wandte den Kopf zum Himmel und blick te dem Schwarm Kraniche nach. Die Vögel flogen in der für sie typischen Dreiecksformation und riefen sich irgendetwas zu: Ein unheimliches Geschnatter, ein unaufhörliches Gekreische erklangen aus den Wolken. Die Klingel zum Pausenende ertönte, aber gerade als ich von meiner Bank aufstehen wollte, ließ sich Jamaica atemlos nebe n mich fallen . »Hast du es schon gehört?« Sie zog an meiner Jacke . »Was? « »Barbie ist verschwunden. « »Lisa? « »Die beiden Polizisten sind wegen ihr hier! « »Wie verschwunden? « »Anscheinend ist sie vom Tanzkurs nicht nach Hause gekom men.« Für einen Moment trat ein ernster Ausdruck in Jamaica s Gesicht . »Lisa wollte doch unbedingt nach dem Kurs nach Hause.« Ver ständnislos schüttelte ich den Kopf. »Sie hat doch noch so ge jammert. « »Aber genau da ist sie nicht angekommen. « »Wo soll sie denn sein? « »Was für eine Frage!« Jamaica beugte sich näher zu mir herüber . »Ich glaube, Lisa wurde entführt! « Ihre dunklen Augen blitzten herausfordernd und mir war klar , dass Jamaicas Fantasie mal wieder auf Hochtouren lief. Schau ermärchen und Gruselgeschichten liebte sie noch mehr al s Hendrik . »Entführt? Hier bei uns in der Gegend? « »Sag mal, wie war das gestern noch?« Jamaica legte die Stirn i n Falten. »Sie ist mit den anderen weg, oder? « Ich wollte gerade antworten, als sie mir den Ellbogen in die Rip pen stieß . Auf der Freitreppe erschienen Herr Berger und sein Kollege. Ih nen folgte unser Direktor, dessen Gesichtsausdruck hilflo s wirkte, wie immer, wenn er etwas anderes als die Hausordnun g besprechen musste . Unwillkürlich versammelten sich die Schüler vor der Freitrep pe. Lisas Verschwinden hatte sich offenbar schnell herumge sprochen. In den Blicken war nicht nur die Neugierde zu erken nen, sondern noch etwas anderes: Sensationslust. Hätte Jamaica mich gelassen, wäre ich zurückgeblieben, hätte mich irgendwo verkrochen. Half es einem weiter, wenn man je des Unglück kannte? Nein! Doch Jamaica hielt meine Hand fest umklammert. Ihre Finger waren eiskalt vor Aufregung. Ja, sie schienen geradezu an mei nen festgefroren. Jedenfalls konnte ich meine Hand nicht aus ihrer lösen. Sie zog mich durch die Menge hindurch, hatte ein unglaubliches Geschick, die Lücke zu finden, durch die sie krie chen konnte, bis wir schließlich ganz vorne an der Treppe stan den. Ich spürte die angespannte Stille. Jeder wartete darauf, dass der Direktor etwas sagte. Doch stattdessen trippelte die Konrektorin Frau Kraushaar in ihren Stöckelschuhen die Stufen hinunter. Ihr dünnes maus braunes Haar klebte vor Aufregung an ihrer Wange, vergeblich versuchte sie, es aus dem Gesicht zu streichen. Stattdessen wurden die Strähnen in ihren Mund geweht, als sie uns laut bat, endlich in unsere Klassenzimmer zurückzukehren, schließlich habe die Glocke schon lange das Ende der großen Pause ange zeigt. »Schon lange!«, wiederholte sie. »Ich weiß nicht, was ihr noch hier draußen wollt.« Dabei war klar, weshalb wir herumstanden. Lisas Verschwinden betraf uns alle. Aber wie immer erfuhren die Betroffenen die Wahrheit zuletzt.
    Auf dem Nachhauseweg fuhr ich an der Praxis meines Vaters vorbei. Vielleicht wusste er etwas Neues. Als Landarzt wurde er stets sofort nach der Polizei über jedes Unglück informiert. Au ßerdem war mir eingefallen, dass er heute Morgen zu Lisas El tern gerufen worden war . Doch sein Landrover stand nicht auf dem Parkplatz, also war e r unterwegs . Ich stieg wieder auf mein Fahrrad, trat fest in die Pedale und in nerhalb von wenigen Minuten war ich auf der Landstraße, di e direkt zu unserem Haus führte. Meine Erkältung war nich t schlimmer geworden, aber trotzdem sehnte ich mich danach , in mein Zimmer zu verschwinden und mich ein bisschen hinzu legen . Aber einen Moment später merkte ich, dass mir jemand folgte . Automatisch wurde ich langsamer und fuhr an den Straßen rand, doch plötzlich erstarb das knatternde Geräusch hinte r mir. Der Fahrer des roten Rollers zog den Helm ab . »Hey«, sagte Finn . »Hey. « »Du wohnst im Schloss, oder? « »Es ist kein Schloss«, erwiderte ich mechanisch. »Sondern ei n Gutshaus aus dem 18. Jahrhundert. Es war nie ein Schloss. Nu r die Leute hier nennen es so. « »Ich will zum

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