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Dornroeschengift

Dornroeschengift

Titel: Dornroeschengift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Krystyna Kuhn
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hervorzog, das sorgfältig in eine Plastikhülle verpackt war. Aufgeregt riss sie die Hülle he runter und wirbelte herum. Der feine Chiffonstoff des Kleides flog durch die Luft. Die Strasssteine, die wie ein Band um die Taille lagen, glitzerten im Licht. Ich erinnerte mich daran, wie aufgeregt ich gewesen war, als ich es gekauft hatte. Ich sah anders darin aus, irgendwie er wachsener, und vor zwei Tagen hatte ich noch überlegt, was Finn wohl sagen würde, wenn er mich darin sah. Jetzt konnte ich den Gedanken daran kaum noch ertragen. »Oh, das hat ja keine Träger!«, rief Jamaica neidisch. »Da hast du Chancen, dass es nach unten rutscht und dir jeder in den Aus schnitt starren kann.« »Da gibt es sowieso nichts zu sehen«, erwiderte ich. Ich hatte keine Lust, weiter über den Ball nachzudenken. »Wenn du sowieso mit Tom gehst«, überlegte Jamaica, »ich mei ne, Finn ist schließlich solo, da könnte ich ihn doch fragen... oder hast du etwas dagegen?« »Warum sollte ich?«, erwiderte ich, obwohl es mir einen Stich versetzte. »Und es macht dir nichts aus?... Ganz sicher?«, hakte sie nach. »Mir doch egal«, murmelte ich, obwohl es mir in keinster Weise egal war. Aber mit meiner Mutter war nicht zu reden, ich hatte es immer wieder versucht und mein Vater flehte mich sowieso nur an, Rücksicht auf sie zu nehmen.
    »Halt ein paar Tage durch, Motte«, hatte er gesagt. »Sie komm t sonst um vor Sorge. Sei meine brave Tochter. « Brav, dachte ich, ich habe es satt, brav zu sein. Vielleicht sollt e ich einfach zu Hause bleiben . Das Klingeln des Telefons riss mich aus meinen trüben Gedan ken. Ich rannte die Treppe hinunter. Abrupt hielt ich inne. To m stand im Flur, er hatte bereits abgenommen. Seine Stimm e klang fremd und kalt. Er sprach englisch . »Meine Eltern sind nicht zu Hause. « Eine kurze Pause . »Natürlich! « Dann hörte ich Papier rascheln . »Ja, sie rufen zurück . . . « Ich räusperte mich . Er wandte sich um, erkannte mich auf der Treppe. Für eine n Moment erschrak er, dann lächelte er mir zu, rollte die Auge n und sagte: »Kein Problem. « »Wer war das?«, fragte ich, nachdem er aufgelegt hatte . »Oh«, erwiderte er. »Nichts von Bedeutung. « Ich wartete auf eine weitere Erklärung, doch er blieb stumm . Stattdessen ging er, die Hände in den Taschen, auf die Haustü r zu. »Ich muss zurück in den Garten. Hendrik wartet auf mich. « Zurück in meinem Zimmer, hatte Jamaica sich inzwischen müh sam in mein Kleid gequetscht. Es reichte ihr nur knapp bis unte r die Knie. Ich befürchtete, es würde jede Minute aus allen Näh ten platzen. Das schwarze Kleid zu ihrer dunklen Haut! Nich t Valerie oder Carlotta – Jamaica sah aus wie eine trauernd e Witwe . Ich musste sie merkwürdig angesehen haben, denn sie fragte : »Was Wichtiges? « »Tom hat das Gespräch entgegengenommen«, erklärte ich ver wirrt .
    Jamaica seufzte zum hundertsten Mal an diesem Nachmittag . »Ich sehe schon, er fühlt sich bei euch wie zu Hause! Kann ic h nicht doch hier einziehen? Frag doch mal deine Eltern! « Erst in diesem Moment wurde mir bewusst, was Tom gesag t hatte: Meine Eltern sind nicht zu Hause . Meine Eltern ? Warum meine ?

Die Gerüchteküche
    D ie ganze Nacht über schrie Oskar, das Käuzchen, im Park. Kein Wunder, dass ich schlecht träumte. Was heißt schlecht? Ich zappte im Schlaf von einem Thriller, von einem Horrorfilm zum nächsten. Und auf allen Kanälen tauchte Finn auf. In seinen Mantel gehüllt, stand er unter meinem Fenster und starrte unverwandt zu mir hoch. Ich bildete mir ein, ihn rufen zu hören, und schlich in einem weißen Nachthemd (das ich nie und nimmer tragen würde) hinunter ins Freie. Ich spürte im Traum sogar, wie meine Füße über die gefrorene Wiese liefen. Dann von einem Moment zum anderen: Die Kälte war ver schwunden, dafür erkannte ich die Hand nicht mehr vor Augen. Ich versuchte mich durch den Nebel zu tasten und wedelte mit den Fingern durch die Luft, als wollte ich ein beschlagenes Fenster frei wischen. Wieder eine neue Szene: Wir standen im Wald dicht beieinander und er presste seinen Mund fest auf meinen. Ich glaubte zu ersticken, konnte nicht schreien, und bevor ich bewusstlos wurde, wachte ich auf, tauchte schwer atmend aus dem Schlaf. Die Augenlider wie Blei, versuchte ich sie mit aller Gewalt offen zu halten. Es lohnte sich nicht wirklich. Der Morgen war von einem trüben einheitlichen Grau. Zu grau, um den Traum schnell zu vergessen. Also schob ich mich aus dem

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