Dornroeschengift
nicht mit Mike getaucht?« Ich schaute zu ih m
hinüber. Sein Blick war starr auf die nächtliche Straße gerich tet. Seine Wangenmuskeln zuckten. Hatte ich eigentlich je da rüber nachgedacht, dass er Mike ebenso vermisste wie ich ? »Ich konnte mir die Ausrüstung und die Trainingsstunden nich t leisten. Wir sind nicht so reich wie ihr. « »Wir sind nicht reich«, widersprach ich . »Aber die Leute nennen euch doch: die vom Schloss.« Er grinste . Ich erinnerte mich an Jamaicas Fragen. »Was ist eigentlich mi t deinem Vater? « »Den habe ich nie kennengelernt. Er hat meine Mutter noch i n der Schwangerschaft sitzen gelassen. Meine Mutter meint, e r sei es nicht wert, nur einen einzigen Gedanken an ihn...wi e heißt das auf Deutsch? « »Zu verschwenden. « »Right . . . In ihren Augen ist es nicht important . . . « »Wichtig. « »Sie meint, es ist nicht wichtig, woher du stammst, sondern we r du bist. « »Sie hat recht. « »Nein«, widersprach Tom heftig. »Ihr in Europa, ihr habt alle.. . wie heißt es? Wurzeln. Ich glaube, ich möchte lieber hier leben , nicht in Australien. « »Bei uns gibt es doch nichts Besonderes.« Ich starrte zum Fens ter hinaus. Nein, nichts Besonderes. Außer Wiesen, Felder un d Nebel . »Na ja«, lachte Tom, aber es klang nicht wirklich fröhlich , »Schlösser zum Beispiel haben wir in Australien nicht. Unser e Geschichte ist nicht älter als vierhundert Jahre. «
Erst am Abend, ich lag bereits im Bett und war fast eingeschla fen, fiel mir wieder ein, wer über Vergangenheit und Vorfahre n gesprochen hatte. Mike! In einer seiner E-Mails .
Ich sprang aus dem Bett, holte mein Tagebuch hervor und blät terte, bis ich die Mail fand. Ich hatte sie unter dem Datum ein geklebt, an dem er sie geschrieben hatte. Komisch, irgendwie war es die letzten Monate eigentlich mehr Mikes Tagebuch ge wesen als meines.
Brisbane, Mike
Night on January 7th, 2007
Stimmung: No panic!
Zitat des Tages: The Death of Love
Liebe Sofie,
wo treffen sich Walhaie, Manta, Rochen, Schildkröten, Delfine und viele Tausende von Fischen auf einmal? Am Ningaloo Reef! Und wer hat das alles gesehen??? Ja, genau! Ich! Hat mich zwar ein Vermögen gekostet, aber das war es wert! Du kannst dir nicht vorstellen, wie riesig Walhaie sind. Die größten Fische der Welt. Bis zu zwölf Meter lang, aber vollkommen harmlos. Dabei würde ich locker in ihr riesiges Maul passen. Ich bin mit ihnen geschnorchelt, als wären wir die besten Freunde! Warum erzähle ich dir das alles? Ich habe meinen Tauchschein bestanden und bin daher nun ein »Advanced Open Water Diver«! Das ist wie ein Führerschein unter Wasser. Nein, besser! Denn ich kann unter Wasser anstellen, was ich will. Allerdings vor meinem ersten Tieftauchgang alleine habe ich schon Panik. Dreißig Meter unter die Wasseroberfläche. Tom warnt mich ständig, erzählt über Leute, die ertrunken sind. Ehrlich gesagt, geht er mir damit auf die Nerven. Am schlimmsten, sagt er, sei die »Nitrogen Narcosis«. Das bedeutet, in so einer Tiefe arbeitet das Gehirn langsamer. Das kann dazu führen, dass man nicht mehr ansprechbar ist oder verrückte Dinge macht. Na ja, für verrückte Dinge bin ich ja Spezialist. Sag in jedem Fall dem Dunkelmann, er soll mal mit euch tauchen gehen. Da unten passieren irre Sachen. Zum Beispiel wird die Farbe Rot absorbiert, die rote Chipspackung sah jedenfalls nur noch ekelhaft braun aus. Rohe Eier, die man normalerweise leicht zerquetschen kann, werden plötzlich hart und gehen einfach nicht kaputt. Keine Sorge! Bis auf einmal bin ich nie in eine gefährliche Situation geraten. Wir sind durch eine ziemlich enge Schlucht geschwommen, wie eine Höhle. Ich passte gerade so durch und wegen der Strömung stieß ich gegen die Wand. Dabei hat sich mein Mundstück verfangen. Ich konnte mich nicht mehr drehen und wenden. Ich habe einfach mein Sicherheitsmundstück aus der Weste gezogen und in den Mund gesteckt. War danach etwas geschockt, aber auch stolz, dass ich nicht in Panik geraten bin, sondern intuitiv richtig gehandelt habe. Du musst dir also keine Sorgen um mich machen, ich bin ein echter Profi! Tom will uns übrigens im Frühjahr besuchen. Er lernt deutsch wie ein Wahnsinniger und spricht fast schon besser als ich. Er hat mir erzählt, dass sein Ururur. . . ach, was weiß ich, jedenfalls kam irgendein Vorfahre aus Deutschland. Laut Tom ein Schafzüchter, der sogar ein Dorf in Australien gegründet hat. Das mit den Vorfahren ist so eine Sache. Meinst
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