Dornroeschengift
normalen Jeans, ei nem schwarzen Hemd und einem gleichfarbigen Sakko, das lo cker auf seinen Schultern saß. Er war, so schien es mir, der Ein zige, der sich nicht maskiert hatte, keine Rolle spielte. Er wür digte mich keines Blickes, sondern erklärte an Jamaica ge wandt: »Frau Kaluza will, dass wir uns zum Walzer aufstellen.«
Ich tanzte den ganzen Abend: mit Tom, meinem Vater, Herrn Dunkelmann und einmal sogar mit dem Package, der mir aus nahmsweise nicht auf den Füßen herumtrat. Aber ich konnte nicht sagen, dass ich mich wirklich amüsierte. Auf Toms Versu che, mich zu unterhalten, antwortete ich lediglich einsilbig. Stattdessen verfolgte ich mit gemischten Gefühlen, wie Jamaica einen Tanz nach dem anderen mit Finn absolvierte. Brennende Eifersucht wechselte sich mit Erleichterung ab. Sie war in einer aufgeregten Stimmung, als fürchte sie, die Poli zei könne jeden Moment hereinstürmen und ihr das geklaute Kleid vom Leib reißen. Wenn ich beobachtete, wie sie an Finn gelehnt mit ihm tanzte, wünschte ich es mir fast. »Was ist eigentlich los mit dir?«, hörte ich Tom sagen. Er hielt mich fest und lenkte meine Schritte mit einem entschiedenen Druck seiner verschwitzten Hand. »Nichts«, murmelte ich. »Trauerst du immer noch diesem Typ nach?« Er warf Finn einen ärgerlichen Blick zu. »Er heißt Finn«, erwiderte ich. Hundert Mal hatte ich ihm das bereits erklärt und ich war mir sicher, er wusste den Namen. Mein Magen war in Aufruhr und ich verspürte eine leichte Übel keit hochsteigen, als Jamaica direkt neben uns eine riskante Drehung mit Finn riskierte. Tat sie das extra? Inzwischen kam es mir so vor. Biest, dachte ich, doch im nächsten Moment schämte ich mich dafür. Finn tanzte mit dem Rücken zu uns. Jamaica zwinkerte mir ver schmitzt zu, gab mir ein Zeichen. Ich hatte keine Ahnung, was sie vorhatte. In der nächsten Minute näherten sie sich uns. Ja maica klopfte mir auf die Schulter und rief: »Partnerwechsel!« Finn stand vor mir auf der Tanzfläche, während Jamaica mit Tom davonwirbelte.
Finn und ich starrten uns an. Um uns drängten sich die Paar e auf der Tanzfläche . Die Band spielte irgendeinen uralten Countrysong. Ich verstan d lediglich: Ring of fire. Als spielten sie nur für uns. Ja, der Bode n unter meinen Füßen brannte . Konnte ich mich so irren ? »Wir können uns auch setzen«, rief ich gegen die Musik an . Er murmelte so etwas wie Schon gut und zog mich an sich . Love is a burning thing, dröhnte es in meinen Ohren . War es meine letzte Chance ? »Es tut mir leid. « »Kein Problem!« Er wich meinem Blick aus . »Nein, ich sollte dir vertrauen«, kämpfte meine Stimme gege n den Satz I went down, down, down, and the flames they went higher . »Damit wärst du die Einzige. « Genau, dachte ich, genau darum geht es ja. Ich wäre gerne di e Einzige .
And it burns, burns, burns, that ring of fire, that ring of fire.
Vielleicht hätten dieser Text und die Tatsache, dass wir eng an einandergepresst tanzten, seinen Widerstand wenigstens ein bisschen brechen können, doch ausgerechnet jetzt klatschte die Kaluza in die Hände und rief: »Pause! Die Herren holen den Damen etwas zu trinken.« Abrupt blieben wir stehen. »Was möchtest du?«, fragte Finn, ohne mich anzusehen. »Wasser.« Möglicherweise wäre Finn sogar wiedergekommen, doch ich wollte nicht, dass er nur aus Höflichkeit mit mir sprach. Also bahnte ich mir einen Weg durch die Menge und rannte hinaus auf den Schulhof, wo ich mich hinter das Bushäuschen auf die alte Mauer setzte. Es war zu beiden Seiten von hohen Sträu chern eingewachsen. Niemand konnte mich hier sehen.
Es war stockdunkel. Die hochhackigen Schuhe versanken bei jedem Schritt im Matsch und mein Atem stieg in kleinen Wol ken vor meinem Mund auf. Außerdem war mir kalt. Ich hätte den Mantel mitnehmen sol len, schließlich hatte ich gerade erst eine Erkältung überstan den. Andererseits war ich froh, endlich allein und Tom, Finn und Jamaica entkommen zu sein. Und nicht zuletzt auch mei nen Eltern, die mir zuliebe krampfhaft versuchten, sich zu amü sieren, obwohl sie keinen Grund hatten, fröhlich zu sein. Ich starrte hoch zum düsteren Himmel und verwundert sah ich die Sterne leuchten. Ich dachte nur, dass sie mich verspotteten mit ihrem romantischen Geglitzer. Ebenso wie dieser helle Bil derbuchmond. Warum hatte er nicht in der Nacht, als Lisa starb, so hell ge leuchtet? Was war mit Lisa passiert? Was hatte sie dort im Wald gemacht? Sie war kein
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