Double Cross. Falsches Spiel
wurde er Canaris' Rechtsberater.
Inoffiziell erhielt er den Auftrag, Vorkehrungen für den Krieg mit Großbritannien zu treffen, den Canaris für unausweichlich hielt.
Jetzt, an einem Nachmittag Anfang Januar, saß Vogel an seinem Schreibtisch über einen Bericht gebeugt, die Fingerknöchel gegen die Schläfen gepreßt. Direkt hinter der Wand ratterte der alte Aufzug, Eisregen prasselte gegen die Fensterscheiben, und von draußen drang das Hupkonzert des abendlichen Verkehrs herein. Vogel legte die Hände an die Ohren und drückte, bis er nichts mehr hörte.
Den Bericht hatte ihm Canaris heute gegeben, ein paar Stunden nachdem der alte Fuchs bleich und zitternd aus Rastenburg zurückgekehrt war. Canaris hielt ihn für vielversprechend, und Vogel mußte ihm darin beipflichten.
»Hitler will Resultate, Kurt«, hatte Canaris gesagt, der wie ein unnahbarer Universitätsprofessor hinter seinem ramponierten alten Schreibtisch thronte und den Blick über die überquellenden Bücherregale wandern ließ. »Er will Beweise: Calais oder die Normandie. Vielleicht wird es Zeit, daß wir Ihr kleines Agentennest ins Spiel bringen.«
Vogel hatte den Bericht zunächst nur überflogen. Jetzt las er ihn noch einmal gründlicher. Was da stand, war tatsächlich mehr als vielversprechend. Das war die Gelegenheit, auf die er gewartet hatte. Als er fertig war, schaute er auf und murmelte mehrmals Ulbrichts Namen, als spreche er direkt in dessen Ohr.
Da er keine Antwort erhielt, stand er schließlich auf und ging ins Vorzimmer. Ulbricht reinigte gerade seine Pistolen.
»Werner, seit fünf Minuten rufe ich nach Ihnen«, sagte Vogel mit kaum vernehmlicher Stimme.
»Bitte um Verzeihung, Herr Kapitän, ich habe Sie nicht gehört.«
»Ich möchte morgen früh als erstes mit Müller sprechen.
Machen Sie mir einen Termin.«
»Jawohl.«
»Und, Werner, gehen Sie mal zum Ohrenarzt. Ich habe mir da drinnen die Lunge aus dem Hals geschrien.«
Die Bomber kamen um Mitternacht, als Vogel unruhig auf dem harten Feldbett in seinem Büro schlief. Er schwang seine Füße auf den Boden, stand auf und trat ans Fenster. Über ihm dröhnten die Flugzeuge. Berlin erzitterte, während in Pankow und Weißensee die ersten Brände aufloderten. Vogel fragte sich, wie viele Vergeltungsschläge die Stadt noch verkraften konnte.
Weite Teile der Hauptstadt des tausendjährigen Reiches lagen bereits in Trümmern, und viele berühmte Straßenzüge waren nur noch Schluchten aus Häuserruinen. Die Bäume, die der Prachtstraße Unter den Linden ihren Namen gegeben hatten, waren ebenso den Flammen zum Opfer gefallen wie viele der eleganten Geschäfte und Banken, die die breite Allee gesäumt hatten. Die berühmte Turmuhr der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche stand seit November, als die Bomber der Alliierten in einer einzigen Nacht vier Quadratkilometer von Berlin in Schutt und Asche gelegt hatten, auf 7.30 Uhr.
Der Bericht ging ihm im Kopf herum, während er den nächtlichen Fliegerangriff beobachtete.
Abwehr/Berlin XFU0465848261 An: Canaris Von: Müller Datum: 2. Nov. 43
Am 21.Oktober sprach Hauptmann Dietrich von der Station Asuncion in Panama-Stadt mit dem amerikanischen Agenten Scorpio. Wie Sie wissen, ist Scorpio einer unserer wichtigsten Age nten in Amerika. Er bekleidet eine hohe Stellung in New Yorker Finanzkreisen und verfugt über gute Kontakte in Washington. Er ist mit vielen hohen Beamten im Kriegs-und im Außenministerium befreundet. Er kennt Roosevelt persönlich.
Den ganzen Krieg über lieferte er aktuelle und sehr präzise Informationen. Ich erinnere nur an das Material über die Waffenlieferungen der Amerikaner an Churchill. Nach Auskunft Scorpios wurde ein bekannter amerikanischer Ingenieur namens Peter Jordan letzten Monat plötzlich von der US-Navy rekrutiert und nach London entsandt, wo er an einem streng geheimen Bauprojekt arbeitet. Jordan hat keinerlei militärische Erfahrung.
Scorpio kennt Jordan persönlich und hat mit ihm vor dessen Abreise nach London gesprochen. Scorpio sagt, daß das Projekt zweifelsfrei mit der geplanten Invasion des Feindes in Frankreich im Zusammenhang steht.
Jordan hat sich durch den Bau mehrerer großer Brücken in Amerika einen Namen gemacht. Jordan ist Witwer. Seine Frau, die Tochter des amerikanischen Bankiers Bratton Lauterbach, kam im August 1939 bei einem Autounfall ums Leben. Scorpio glaubt, daß Jordan für Annäherungsversuche einer weiblichen Agentin des entsprechenden Typs sehr empfänglich
Weitere Kostenlose Bücher