Double Cross. Falsches Spiel
Platzes in Vogels Büro nahmen eine Reihe verschlossener Stahlschränke und ein schwerer Safe ein. Vogel hegte den Verdacht, daß die Mitarbeiter in der Registratur von der Gestapo bestochen waren, und so lehnte er es ab, dort irgendwelche Akten aufzubewahren. Sein einziger Assistent ein hochdekorierter Leutnant der Wehrmacht namens Werner Ulbricht, der an der Ostfront zum Krüppel geschossen worden war - arbeitete im Vorzimmer. Er bewahrte zwei Luger-Pistolen in der obersten Schublade seines Schreibtisches auf und hatte von Vogel den Befehl, auf jeden zu schießen, der ohne Erlaubnis eindrang. Der Gedanke, daß er versehentlich Wilhelm Canaris erschießen könnte, verursachte ihm Alpträume.
Offiziell bekleidete Vogel den Rang eines Kapitäns zur See der Kriegsmarine, doch dies war nur eine Formalität, die ihm die nötige Bewegungsfreiheit für seine Operationen verschaffen sollte, und wie sein Mentor Canaris zeigte er sich selten in Uniform. Meist trug er den schwarzen Anzug eines Leichenbestatters, dazu ein weißes Hemd und eine dunkle Krawatte. Er hatte eisengraues Haar, das so aussah, als habe er es selbst geschnitten, und den ernsten Blick eines Kaffeehausrevoluzzers. Seine Stimme klang wie ein rostiges Scharnier, und nach annähernd zehn Jahren vertraulicher Gespräche in Cafes, Hotelzimmern und verwanzten Büros wurde sie selten lauter als Kapellengellüster. Ulbricht, der auf einem Ohr taub war, hatte stets Mühe, ihn zu verstehen.
Vogels leidenschaftliches Streben nach Anonymität grenzte ans Absurde. Sein Büro enthielt nur einen einzigen persönlichen Gegenstand, eine Fotografie von Gertrude und den Mädchen. Er hatte sie, als die Luftangriffe begannen, zu Gertrudes Mutter nach Bayern geschickt und sah sie nur selten. Immer wenn er das Büro verließ, und sei es nur für ein paar Minuten, nahm er das Foto vom Schreibtisch und schloß es in einer Schublade ein.
Selbst sein Ausweis gab keinerlei Auskunft. Er enthielt kein Foto - er hatte sich seit Jahren nicht fotografieren lassen -, und der Name war falsch. Für die wenigen Nächte, in denen er dem Büro entfloh, hatte er sich in der Nähe eine Wohnung gemietet.
Sie war bequem zu Fuß zu erreichen, und der Weg führte an den grünen Ufern des Landwehrkanals entlang. Die Vermieterin hielt ihn für einen Hochschulprofessor, der viele Freundinnen hatte.
Selbst innerhalb der Abwehr war wenig über ihn bekannt.
Kurt Vogel war in Düsseldorf geboren. Sein Vater war Schulrektor, und seine Mutter, die eine vielversprechende Karriere als Konzertpianistin aufgegeben hatte, um zu heiraten und eine Familie zu gründen, gab Klavierstunden. Vogel studierte an der Universität Leipzig bei Hermann Heller und Leo Rosenberg, zwei der bedeutendsten Rechtsgelehrten in Deutschland, Zivil-und öffentliches Recht und erwarb den Doktortitel in Jura. Er war ein brillanter Student, der beste seines Jahrgangs, und seine Professoren prophezeiten ihm, daß er eines Tages ans Reichsgericht berufen werde.
Mit Hitler änderte sich alles. Hitler glaubte an die Macht, nicht an den Rechtsstaat. In den ersten Monaten nach seiner Machtergreifung stellte er die deutsche Rechtsordnung auf den Kopf. Der Wille des Führers wurde Gesetz, und jede verrückte Laune Hitlers wurde sofort in Verordnungen und Erlasse gegossen. Vogel erinnerte sich noch an einige lächerliche Grundsätze, die Hitlers Totengräber des Rechtsstaats geprägt hatten: Recht ist, was dem Volke nützt! Das Gesetz muß nach dem gesunden Volksempfinden ausgelegt werden! Die ordentlichen Gerichte standen den Nazis im Wege, also schufen sie ihr eigenes, den Volksgerichtshof. Die finsterste Stunde ihrer Geschichte erlebte die deutsche Justiz nach Vogels Ansicht im Oktober 1933, als zehntausend Juristen auf den Stufen des Reichsgerichts in Leipzig standen, den Arm zum Hitlergruß erhoben, und schworen, ›dem Führer bis ans Ende unserer Tage zu folgen‹. Vogel war unter ihnen. Am selben Abend kehrte er in die kleine Wohnung zurück, in der er mit Gertrude zusammenlebte, verbrannte seine juristischen Bücher im Ofen und betrank sich sinnlos.
Drei Monate später, im Januar 1934, trat ein kleiner, mürrischer Mann mit zwei Dackeln an ihn heran. Der Mann war Wilhelm Canaris, der neue Chef der Abwehr. Er fragte Vogel, ob er Lust habe, für ihn zu arbeiten. Vogel nahm unter der Bedingung an, daß er nicht der NSDAP beizutreten brauchte, und eine Woche später verschwand er in der Welt des militärischen Geheimdienstes. Offiziell
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