Double Cross. Falsches Spiel
Träum was Schönes.«
London: Januar 1944
Sechs Tage waren vergangen, seit Catherine Blake die Nachricht aus Hamburg erhalten hatte. Seitdem hatte sie ernsthaft mit dem Gedanken gespielt, sie einfach zu ignorieren.
Alpha war der Deckname für einen Treffpunkt im Hyde Park, einen Fußpfad, der durch ein Wäldchen führte. Sie mußte sich eingestehen, daß sie nervös war wegen des Treffens. Seit 1940 hatte der MI5 Dutzende von Spionen verhaftet. Und sicherlich hatten einige von ihnen vor ihrem Stelldichein mit dem Henker alles ausgeplaudert, was sie wußten.
Theoretisch sollte dies in ihrem Fall jedoch nichts ausmachen.
Vogel hatte ihr versichert, daß zu ihrem Schutz alles anders organisiert sei: der Funkkontakt, die Sicherheitsvorkehrungen bei Treffs, die Codes. Mochte jeder andere Spion in England verhaftet und gehenkt werden - sie werde man auf gar keinen Fall kriegen.
Catherine wünschte, sie könnte Vogels Zuversicht teilen. Er war Hunderte von Kilometern entfernt, durch den Ärmelkanal von Großbritannien getrennt, und agierte gewissermaßen im Blindflug. Der kleinste Fehler konnte dazu fuhren, daß sie verhaftet oder getötet wurde. Allein wenn sie an den Treffpunkt dachte. Es war eine sehr kalte Nacht, und jeder, der im Hyde Park herumlungerte, machte sich automatisch verdächtig. Es war ein dummer Fehler, der gar nicht zu Vogel paßte. Er mußte unter enormem Druck stehen. Das war verständlich. Jeder wußte, daß eine Invasion bevorstand. Die Frage war nur, wo und wann.
Es gab aber noch einen anderen Grund, warum sie nur ungern zu dem Treff ging: Sie hatte Angst davor, in das Spiel hineingezogen zu werden. Sie war bequem geworden, vielleicht sogar zu bequem. Sie führte ein überschaubares und geregeltes Leben. Sie hatte eine gemütliche Wohnung, ihre Arbeit als Freiwillige im Krankenhaus und Vogels Geld, von dem es sich gut leben ließ. Es widerstrebte ihr, sich in dieser späten Phase des Krieges noch in Gefahr zu bringen. Sie fühlte sich überhaupt nicht als deutsche Patriotin. Ihre Tarnung schien absolut sicher.
Sie könnte warten, bis der Krieg vorüber war, und dann nach Spanien zurückkehren. Auf die große Estancia in den Vorbergen, zurück zu Maria.
Catherine bog in den Hyde Park ein. Der Lärm des abendlichen Verkehrs auf der Kensington Road wurde schwächer, bis er nur mehr ein angenehmes Summen war.
Es gab zwei Gründe, die für den Treff sprachen.
Der erste war die Sicherheit ihres Vaters. Catherine arbeitete nicht freiwillig als Spionin für die Abwehr, sie war dazu gezwungen worden. Vogel hatte sie erpreßt. Er hatte ihr klar gemacht, daß ihrem Vater Ungemach drohte - Verhaftung, Einlieferung in ein Konzentrationslager, ja, sogar der Tod -, wenn sie nicht einwilligte, nach Großbritannien zu gehen. Wenn sie sich jetzt weigerte, einen Auftrag zu übernehmen, würde sie damit ohne Zweifel das Leben ihres Vaters in Gefahr bringen.
Der zweite Grund war simpler: Sie fühlte sich schrecklich einsam. Seit sechs Jahren war sie von allem abgeschnitten. Die normalen Agenten durften ihre Funkgeräte benutzen. Sie hatten wenigstens etwas Kontakt mit Deutschland. Ihr war so gut wie kein Kontakt erlaubt. Aber sie war neugierig. Sie wollte mit jemandem von der eigenen Seite sprechen. Sie wollte wenigstens für ein paar Minuten ihre Tarnung aufgeben und die Identität Catherine Blakes ablegen.
Mein Gott, dachte sie, ich kann mich kaum noch an meinen richtigen Namen erinnern.
Sie beschloß, zu dem Treff zu gehen.
Sie schlenderte am Ufer des Serpentine entlang und beobachtete Enten, die in den Löchern im Eis nach Nahrung tauchten. Sie folgte dem Weg zu den Bäumen. Das letzte Licht war verblaßt, und Sterne funkelten am Himmel. Das war das einzig Schöne an der Verdunkelung, dachte sie - selbst mitten im West End waren nachts die Sterne zu sehen.
Sie faßte in ihre Handtasche und tastete nach dem Knauf ihrer mit einem Schalldämpfer versehenen Pistole. Sie war da. Wenn etwas Ungewöhnliches passierte, würde sie von ihr Gebrauch machen. Sie hatte sich geschworen, es niemals zu einer Verhaftung kommen zu lassen. Der Gedanke, in irgendeinem stinkenden britischen Gefängnis eingesperrt zu sein, verursachte ihr Übelkeit. Manchmal träumte sie von ihrer eigenen Hinrichtung. Sie sah die lachenden Gesichter der Engländer, bevor ihr der Henker die schwarze Kapuze über den Kopf stülpte und den Strick um den Hals legte. Sie würde ihre Giftpille nehmen oder im Kampf fallen, aber sie würde
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