Double Cross. Falsches Spiel
niemals zulassen, daß sie Hand an sie legten.
Ein amerikanischer Soldat kam ihr entgegen. Eine Prostituierte schmiegte sich an seine Schulter, rieb ihm den Schwanz und schob ihm die Zunge ins Ohr. Ein gewohnter Anblick. Die Mädchen arbeiteten am Piccadilly. Wenige verschwendeten Zeit oder Geld für ein Hotelzimmer. Die Soldaten nannten sie ›Mauerblümchen‹, weil sie mit ihren Freiern einfach in einen Torweg oder in den Park gingen und den Rock hoben. Einige naive Gemüter glaubten, nicht schwanger zu werden, wenn sie es im Stehen machten.
Dumme Engländerinnen, dachte Catherine.
Sie trat unter die Bäume und wartete darauf, daß Vogels Agent auftauchte.
Der Schnellzug aus Hunstanton lief mit halbstündiger Verspätung im Bahnhof an der Liverpool Street ein. Horst Neumann nahm seine kleine Ledertasche aus dem Gepäcknetz und reihte sich in die Schlange der auf den Bahnsteig drängenden Fahrgäste ein. Draußen herrschte ein Chaos. Müde Reisende irrten in Knäue ln durch den Bahnhof wie Opfer einer Naturkatastrophe, überall lagen Soldaten und schliefen, den Kopf auf ihren Seesack gebettet. Ein paar Bahnpolizisten streiften umher und versuchten, die Ordnung aufrechtzuerhalten.
Alle Gepäckträger waren Frauen. Neumann trat hinaus auf den Bahnsteig. Klein, flink und mit leuchtenden Augen, schlüpfte er durch das Gedränge.
Den beiden Männern am Ausgang sah er schon von weitem an, daß sie Polizisten waren. Sie trugen zerknitterte Anzüge und Bowler. Er fragte sich, ob sie nach ihm suchten. Sie konnten unmöglich eine Beschreibung von ihm haben. Instinktiv schob er die Hand unter sein Jackett und tastete nach seiner Pistole. Sie steckte im Hosenbund. Er tastete auch nach seiner Briefmappe in der Brusttasche. Sein Ausweis lautete auf den Namen James Porter. Offiziell reiste er als Arzneimittelvertreter. Er huschte an den beiden Männern vorbei und tauchte in die Menge ein, die sich durch die Bishopsgate Road wälzte.
Die Fahrt war, bis auf die unvermeidliche Verspätung, glattgega ngen. Er war mit einer Gruppe junger Soldaten in einem Abteil gereist. Eine Zeitlang hatten sie ihn mißtrauisch beäugt, während er Zeitung las. Neumann vermutete, daß jeder gesund aussehende junge Mann, der keine Uniform trug, einer gewissen Verachtung aus gesetzt war. Er sagte ihnen, daß er bei Dünkirchen verwundet und mit einem hochseetauglichen Schlepper halbtot nach England gebracht worden sei - einem der kleinen Schiffe. Die Soldaten hatten ihn darauf zum Kartenspielen eingeladen, und er hatte sie bis aufs Hemd ausgenommen.
Auf der Straße war es stockdunkel. Das einzige Licht spendeten die abgedunkelten Scheinwerfer der Autos, die langsam die Straße vorankrochen, und die schwachen Taschenlampen, die viele Fußgänger bei sich trugen. Er hatte das Gefühl, er sei mitten in ein Kinderspiel geraten, bei dem es darum ging, mit verbundenen Augen eine lächerlich einfache Aufgabe zu erfüllen. Zweimal stieß er mit einem entgegenkommenden Passanten zusammen. Einmal, als er gegen etwas Kaltes und Hartes prallte, setzte er schon zu einer Entschuldigung an, da bemerkte er, daß es nur ein Laternenpfahl war.
Er mußte lachen. London hatte sich seit seinem letzten Besuch sehr verändert.
Er war als Sohn einer deutschen Mutter und eines englischen Vaters unter dem Namen Nigel Fox 1919 in London geboren worden. Als sein Vater 1927 starb, kehrte seine Mutter nach Deutschland zurück und ließ sich in Düsseldorf nieder. Ein Jahr später heiratete sie einen wohlhabenden Fabrikanten namens Erich Neumann, einen strengen Zuchtmeister, der keinen Stiefsohn wollte, der Nigel hieß und obendrein Deutsch mit englischem Akzent sprach. Er änderte den Namen des Jungen kurzerhand in Horst, erlaubte ihm, seinen Familiennamen anzunehmen, und steckte ihn in eine der strengsten Kadettenanstalten des Landes. Horst war dort sehr unglücklich.
Die Mitschüler hänselten ihn wegen seiner dürftigen Deutschkenntnisse, außerdem war er klein und leicht einzuschüchtern. An den Wochenenden kam er meist mit einem blauen Auge und aufgeplatzten Lippen nach Hause. Seine Mutter sorgte sich um ihn. Horst wurde wortkarg und verschlossen. Doch Erich war der Meinung, daß die Schule gut für ihn sei.
Dann, als Horst vierzehn Jahre alt war, erfuhr sein Leben eine Wendung. Bei einem offenen Leichtathletik-Sportfest nahm er am 1500-Meter-Lauf teil. Er lief in seinen kurzen Schulhosen und ohne Schuhe und blieb weit unter fünf Minuten, eine erstaunliche Zeit
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