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Double Cross. Falsches Spiel

Double Cross. Falsches Spiel

Titel: Double Cross. Falsches Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Silva
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dann wütend und schließlich gewalttätig werden und seinen Haß an der nächstbesten Person auslassen.
    Natürlich an ihr. Sie beschloß, ihm heute keine Gelegenheit zu geben, sie zu schlagen. Sie machte ihm einen Teller spärlich belegter Sandwiches zurecht und kochte eine Kanne Tee, stellte beides auf den Tisch und verließ das Haus. Er hatte nichts gesagt und nicht gefragt, wohin sie ging, als sie ihren Mantel angezogen hatte und zur Tür hinausgeschlüpft war.
    Das Wasser kochte. Jenny fügte etwas Tee hinzu, schloß den Deckel und nahm den Topf vom Feuer. Sie dachte an die anderen Mädchen aus dem Dorf - sie waren jetzt zu Hause, saßen mit ihren Eltern beim Abendbrot und unterhielten sich über die Ereignisse des Tages. Sie brauchten sich nicht unter den Bäumen am Strand zu verstecken, wo einem nur das Rauschen der Wellen und eine Tasse Tee Gesellschaft leisteten. Aber das hatte sie anders gemacht, reifer und klüger. Sie war um ihre Kindheit betrogen worden, um die Jahre kindlicher Unbeschwertheit, und sie hatte schon sehr früh im Leben einsehen müssen, daß die Welt häßlich und gemein sein konnte.
    Mein Gott, warum haßt er mich so? Was habe ich ihm denn getan?
    Mary hatte sich alle Mühe gegeben, Martin Colvilles Verhalten zu erklären. Er liebt dich, hatte sie unzählige Male gesagt, er ist nur verletzt, verbittert und unglücklich und läßt das an dem Menschen aus, der ihm am meisten bedeutet.
    Jenny hatte versucht, sich in die Lage ihres Vaters zu versetzen. Verschwommen erinnerte sie sich an jenen Tag, an dem ihre Mutter ihre Sachen gepackt hatte und fortgegangen war. Sie entsann sich noch, wie Vater sie angefleht hatte zu bleiben, und sie erinnerte sich an den Ausdruck auf seinem Gesicht, als Mutter ablehnte, an das Klirren von Glas und Geschirr, an die häßlichen Ausdrücke, mit denen sie sich beschimpften. Viele Jahre lang hatte sie nicht gewußt, wohin ihre Mutter gegangen war. Es wurde einfach nicht darüber gesprochen. Wenn sie ihren Vater danach fragte, stapfte er wütend davon, ohne zu antworten. Mary war es schließlich, die es ihr sagte. Ihre Mutter hatte sich in einen Mann aus Birmingham verliebt, einen Affäre mit ihm angefangen und lebte jetzt bei ihm. Jenny fragte Mary, warum ihre Mutter nie versucht habe, sich mit ihr in Verbindung zu setzen, doch Mary wußte darauf keine Antwort. Und als sei das noch nicht schlimm genug, sagte Mary auch noch, daß Jenny das Ebenbild ihrer Mutter sei. Sie selbst konnte es nicht beurteilen, denn ihr Vater hatte schon vor langer Zeit alle Fotos von ihr verbrannt. Das letzte Bild, das sie von ihrer Mutter hatte, war das einer verzweifelten, aufgebrachten Frau mit verweinten roten Augen.
    Jenny goß sich Tee ein und umschloß den warmen Becher mit den Händen. Eine Windböe rüttelte an den Ästen der Kiefern über ihrem Kopf. Der Mond ging auf, die ersten Sterne kamen heraus. Jenny spürte, daß es eine sehr kalte Nacht werden würde. Lange würde sie nicht bleiben können. Sie legte zwei dickere Aste aufs Feuer und sah zu, wie die Schatten auf den Felsen tanzten. Als sie ihren Tee ausgetrunken hatte, rollte sie sich zusammen und bettete den Kopf auf ihre Hände.
    Sie stellte sich vor, daß sie woanders wäre, irgendwo, nur nicht in Hampton Sands. Sie wollte irgend etwas Aufregendes tun und nie wieder zurückkehren. Sie war sechzehn Jahre alt.
    Ein paar von den älteren Mädchen aus den Dörfern der Umgebung waren nach London und in die anderen Großstädte gegangen und hatten die Jobs übernommen, die durch die Einberufung der Männer freigeworden waren. Sie konnte in einer Fabrik arbeiten oder als Kellnerin in einem Café. Egal was.
    Sie war schon halb eingeschlafen, als sie unten am Wasser ein Geräusch zu hören meinte. Einen Moment lang fragte sie sich, ob tatsächlich Landstreicher am Strand lebten, und sprang erschreckt auf. Vorsichtig tastete sie sich durch das dunkle Wäldchen und stieg den sandigen Hang hinauf. Von oben spähte sie in die Richtung, aus der das Geräusch kam und erblickte eine Gestalt, bekleidet mit einem Ölmantel, Seemannsstiefeln und Südwester.
    Sean Dogherty.
    Er schien Holz aufzuschichten und ging hin und her, als messe er mit seinen Schritten eine Strecke ab. Vielleicht hatte Mary recht, vielleicht wurde Sean wirklich langsam verrückt.
    Dann entdeckte Jenny eine zweite Gestalt, oben auf der Düne.
    Es war Mary. Sie stand einfach nur da, die Arme vor der Brust verschränkt, und sah schweigend zu. Dann drehte sie sich

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