Double Cross. Falsches Spiel
für einen Jungen, der sich dafür nicht speziell vorbereitet hatte. Ein Verbandstrainer sah das Rennen. Er ermutigte Horst zu trainieren und sorgte dafür, daß dem Jungen in der Schule Sonderkonditionen eingeräumt wurden.
Horst blühte auf. Von der stumpfsinnigen Schinderei im Turnunterricht freigestellt, unternahm er nachmittags nun Geländeläufe. Er war gern allein, weit weg von seinen Klassenkameraden. Er war noch nie so glücklich gewesen. Bald war er einer der besten Nachwuchsathleten im Land und der Stolz seiner Schule. Er kam zur Hitler-Jugend. Jungs, die ihn wenige Jahre zuvor noch gepiesackt hatten, buhlten jetzt um seine Aufmerksamkeit. 1936 wurde er als Zuschauer zu den Olympischen Spielen in Berlin eingeladen. Er sah den Amerikaner Jesse Owens, der die Welt mit dem Gewinn von vier Goldmedaillen in Erstaunen versetzte. Bei einem Empfang für die Hitler-Jugend begegnete er Adolf Hitler und durfte ihm sogar die Hand geben. Er war darüber so aufgeregt, daß er seine Mutter zu Hause anrief. Erich war sehr stolz auf ihn. An seinem Platz auf der Haupttribüne träumte Horst von 1944, wenn er alt und schnell genug sein würde, für Deutschland zu starten.
Der Krieg sollte alles ändern.
Im Jahr 1939 wurde er zur Wehrmacht eingezogen. Durch seine körperliche Fitneß und sein Einzelgängertum machte er die Fallschirmjäger auf sich aufmerksam. Er wurde umgehend auf eine Fallschirmjägerschule nach Stendal geschickt und absolvierte schon am ersten Tag des Polenfeldzugs seinen ersten Kampfabsprung. Frankreich, Kreta und Rußland folgten. Ende 1941 wurde er mit dem Ritterkreuz ausgezeichnet.
In Paris sollte seine Karriere als Fallschirmjäger ein Ende finden. Eines späten Abends betrat er eine kleine Bar, um einen Cognac zu trinken. Eine Gruppe von SS-Offizieren feierte im Nebenzimmer. Neumann hatte seinen Cognac halb ausgetrunken, da hörte er nebenan einen Schrei. Der Franzose hinter der Bar erstarrte, wagte es aber nicht nachzusehen.
Neumann tat es für ihn. Er stieß die Tür zum Nebenzimmer auf.
Eine junge Französin lag auf dem Tisch, SS-Männer hielten ihre Arme und Beine fest. Ein Major vergewaltigte sie, ein anderer schlug mit einem breiten Ledergürtel auf sie ein. Neumann stürzte sich auf den Major und versetzte ihm einen Schlag ins Gesicht. Der Mann knallte mit dem Kopf gegen die Tischkante.
Er sollte nie wieder das Bewußtsein erlangen.
Die anderen SS-Männer schleppten Neumann in eine Seitenstraße, schlugen ihn brutal zusammen und ließen ihn liegen, weil sie ihn für tot hielten. Er verbrachte drei Monate in einem Berliner Krankenhaus. Seine Kopfverletzungen waren so schwer, daß er für springuntauglich erklärt wurde. Da er hervorragend Englisch sprach, wurde er auf einen Horchposten des Heeresnachrichtendienstes in Nordfrankreich versetzt, wo er seine Tage damit zubrachte, in einer engen Baracke vor einem Empfänger zu sitzen und den Funkverkehr jenseits des Ärmelkanals in England abzuhören. Eine stumpfsinnige Tätigkeit.
Dann kam der Mann von der Abwehr, Kurt Vogel. Er wirkte abgespannt und müde, und unter anderen Umständen hätte ihn Neumann möglicherweise für einen Künstler oder Intellektuellen gehalten. Er sagte, er suche fähige Männer, die bereit seien, als Spione nach Großbritannien zu gehen. Und er versprach ihm den doppelten Wehrmachtssold. Neumann war interessiert, nicht wegen des Geldes, sondern weil er sich zu Tode langweilte. Noch in derselben Nacht verließ er Frankreich und kehrte mit Vogel nach Berlin zurück.
Eine Woche bevor er nach Großbritannien kam hatte man ihn auf einen Bauernhof im Berliner Vorort Dahlem gebracht. Dort wurde er instruiert und auf seine Aufgabe vorbereitet. Die Vormittage verbrachte er in der Scheune, wo Vogel für ihn eine n Sprungturm hatte aufstellen lassen, damit er üben konnte.
Ein richtiger Sprung aus einem Flugzeug kam aus Sicherheitsgründen nicht in Frage. Außerdem frischte er seine Kenntnisse im Gebrauch von Handfeuerwaffen auf - mit eindrucksvollen Ergebnissen - und im lautlosen Töten. Die Nachmittage waren dem ABC des Spionagehandwerks gewidmet. Neumann wurde in die Regeln eingeweiht, die bei Agententreffs zu beachten waren, lernte das Anlegen und Leeren toter Briefkästen, Funktechniken, das Verschlüsseln und Entschlüsseln von Nachrichten. Zeitweise nahm Vogel die Schulung allein vor. Dann wieder brachte er seinen Adjutanten mit, Werner Ulbricht. Neumann nannte ihn schelmisch Watson, und Ulbricht ließ ihn ganz
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