Dr. Gordon verliebt
ein rotgesichtiger, lockenköpfiger junger Mann, sehr für Tweedanzüge und Pfeifenrauchen eingenommen, und pflegte ein Zimmer zu betreten, als käme er eben von einem flotten Streifzug durch weite Moore an einem stürmischen Tag. Ich empfand seine aggressive Gesundheit mit tiefer Niedergeschlagenheit, während ich ihn voll Nervosität beobachtete, als seine breiten rosa Pfoten meinen Unterleib kneteten.
«Tief atmen, Alter», befahl er. Dann runzelte er die Stirne und machte «hm».
Zum erstenmal wurde mir bewußt, wie beängstigend es klingt, wenn ein Arzt mit «hm» beginnt.
«Kommt mir vor, als sei mit der Milz was nicht in Ordnung», fügte er hinzu.
«Großer Gott!» Ich sprang auf. «Es handelt sich doch nicht am Ende um so eine scheußliche Leukämie?»
«Na, es könnte ja auch die chlorose Anämie bleichsüchtiger Jungfrauen sein. Reg dich wieder ab. Seit Wochen ist mir übrigens keine Milz untergekommen, und wahrscheinlich irre ich mich. Werde den alten Pennyboy herlotsen, wenn er um sechs ins Spital kommt. Inzwischen geh ins Bett.»
«Ins Bett?» protestierte ich. «Ich will aber nicht ins Bett gehn! Mir ist es verhaßt, zu liegen, ohne was zu tun zu haben.»
«Mein lieber Junge, du mußt aber. Jeder Arzt pflegt als erstes sein Opfer ins Bett zu beordern und ihm zu sagen, er soll sich ruhig verhalten. Dem Patienten schadet es nicht im geringsten, und beide Parteien finden Zeit, nachzudenken. Einige unserer Patienten sind wochenlang im Bett gelegen, während wir nachgedacht haben. Wir sind nicht wie die Chirurgen, mußt du wissen — die sind nicht eher glücklich, bevor sie nicht zu Gewalttätigkeiten gegriffen haben.»
Dr. Pennyworth höchstpersönlich bemühte sich abends an mein Lager, gefolgt von Hinxman und seinem zweiten Assistenten. Der Vorstand der internen Abteilung war ein kleines, dünnes, bleiches Männchen mit zwei Büscheln grauen Haares, die oberhalb seiner Ohren hervorsprossen; er trug ein schwarzes Jackett und eine Hose mit Nadelstreifen. Er war so still und bescheiden, daß er das Zimmer wie ein Gespenst zu betreten schien, ohne die Türe zu benützen. Er stand neben meinem Bett, sagte mir sanft guten Abend, zwängte einen randlosen Kneifer auf seine Nase und inspizierte mich schweigend.
«Jemals in Inchen gewesen?» fragte er mich mysteriös.
«Nein, Sir.»
«Hm.»
Nach längerem Nachdenken ergriff er sachte meine Hand und versank in den Anblick meiner Nägel. Daran erkannte ich den wahren Internisten: ein Chirurg wäre hereingeplatzt, hätte mich kräftig geknetet und dann gerufen: «Tut’s weh? Wo? Hier? Keine Angst, alter Junge, das werden wir Ihnen schon herausschneiden!» Und schon hätte er den Operationssaal angeklingelt. Dr. Pennyworth horchte in Schweigen versunken meine Brust ab, kratzte meine Fußsohlen, zog ein Augenlid herunter, schüttelte meine Hand und verschwand nach einer im Flüsterton gehaltenen Diskussion mit seinen Assistenten ebenso geräuschlos, wie er gekommen war.
Da mir niemand mitgeteilt hatte, was mir fehlte, lag ich da, starrte die Zimmerdecke an und erging mich in weiteren Spekulationen über die Möglichkeit, daß mich Malaria, ein Gehirnabszeß und die Weilsche Krankheit befallen hätten. Schon hatte ich mich fast aufgegeben, als Hinxman abermals bei mir auftauchte.
«Du kommst in den Saal, Alter», verkündete er mir fröhlich. «Hab schon alles in die Wege geleitet. Wirf nur einen Schlafrock um und klettere in den Honestas-Saal hinauf, sobald es dir paßt. Trachte unterwegs nicht allzu viele Leute mit deinem Atern zu verpesten, ja?»
«Ja, was fehlt mir denn?»
«Haben wir dir das nicht gesagt? Schau dir deine Augäpfel an.»
«Du lieber Himmel!» rief ich, als ich vor dem Spiegel stand. «Gelbsucht!»
«Ja, du würdest überall als waschechter Chinese gelten. Ichkomme später noch zu dir. Übrigens brauchen wir noch einen kleinen Beitrag für dein eigenes Laboratorium.»
Mit der Zahnbürste ausgerüstet, verließ ich folgsam die Behausung der Anstaltsärzte, um mich in das Hauptgebäude zu begeben, und stieg zum Honestas-Saal hinauf. Ich war bisher nur selten krank gewesen und hatte noch nie als Behandlungsobjekt in einem Krankensaal geweilt. Ich trat an diese Erfahrung mit den Gefühlen eines Richters heran, der die Stufen zur Anklagebank beschreitet.
«Ist das aber nett, Sie wieder einmal zu sehen», empfing mich die Stationsschwester, die ich einst auf einem Spitalkränzchen kennengelernt hatte. «Die Saalschwester ist
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