Dr. Poptlok Luktor und das Tor des Lichts (German Edition)
weiteren 100 Metern kam die Rechtskurve, von der aus er schon den Wald sehen konnte, der sein Ziel war. Dort wollte er sich die nächsten zwei Stunden verkriechen und seiner Wut und seiner Trauer Raum geben. Ungeduldig stürmte er voran. Schweiß nässte seinen Pullover, und sein Atem ging so schnell und heftig, dass es ihm in den Lungen wehtat. Egal. Es interessierte ihn nicht. Hauptsache weg! Weg von zu Hause, weg von der Mutter, weg von dem toten Großvater.
Als er sich in die Rechtskurve legte, wurde er plötzlich stark geblendet. Es war, als ob jemand mit einem großen Spiegel Sonnenstrahlen einfing, um sie ihm in die Augen zu reflektieren. Dabei war es hier ganz schattig. Nymus riss seine Lenkstange nach rechts, verlor die Kontrolle über sein Fahrrad und stürzte auf seine rechte Seite. Da er so viel Schwung gehabt hatte, schlitterte er noch ein Stück weiter. Der raue Teer schürfte nicht nur seinen Unterarm auf, mit dem er sich abgefangen hatte, sondern auch sein Bein.
„ Verdammter Mist!“, ärgerte sich Nymus.
Kleine, schmale Füße in kostbaren schwarzen Damenschuhen traten langsam, aber zielstrebig auf ihn zu. Sie gehörten zu langen Beinen, die in einer vornehmen schwarzen Hose steckten. Als Nymus' Blick weiter nach oben wanderte, gewahrte er eine blutrote Bluse, die aus dem schwarzen Damensakko hervorschaute. Die schwarz gefärbten Haare trug die Frau hinten zusammengebunden. Sie musste noch sehr jung sein, denn nicht die geringste Spur eines Fältchens zeigte sich auf ihrem weißen, starren Gesicht. Ihre mit schwarzem Kajal stark geschminkten blassblauen Augen zeigten keinerlei Regung, ebenso wenig der schmale Mund mit den blutrot gefärbten Lippen.
„Lass dir helfen“, sagte sie seltsam dumpf.
Sie strahlte eine solche Kälte aus, dass Nymus ein Schauder über den Rücken lief. Von dieser Frau wollte er sich ganz sicher nicht helfen lassen.
Noch bevor sie ihn mit ihren langen, hellen Händen anfassen konnte, sprang er auf. Oder besser, er wollte aufspringen; aber ein heftiger Schmerz in seinem Knie erlaubte nur ein mühsames Sich-Erheben. Er stöhnte. Sein Ellbogen fühlte sich nicht besser an, und Nymus wurde klar, dass er so weder weiterradeln noch einen Fußmarsch nach Hause unternehmen konnte.
Trotzdem sagte er mit hektischer Stimme: „Danke, danke, es ist alles in Ordnung. Ich brauche keine Hilfe.“
Um seine Aussage zu unterstreichen, zwang er sich, sein Fahrrad aus der Fahrbahn zu zerren, zumal er ein Auto heranbrausen hörte. Obwohl er seine Zähne zusammenbiss, wollte ihm das nicht recht gelingen. Die Frau packte mit an, nahm ihm das Rad schließlich ab und lehnte es an den nächsten Gartenzaun.
Ein dunkelgrauer Mercedes der A-Klasse preschte um die Kurve, um dann jäh zu stoppen. Die Fahrertür öffnete sich, noch bevor der Wagen stand, und sogleich hüpfte ein junger Mann heraus, der so jung war, dass er erst vor kurzem seinen Führerschein gemacht haben konnte. Wie die Frau war auch er schwarz und sehr elegant gekleidet. Eine blutrote Krawatte war der einzige Farbklecks im einheitlichen Schwarz.
Er schien über den jämmerlichen Anblick, den Nymus bot, nicht überrascht zu sein. Ohne die am Knie durchlöcherte und sich vom Blut bräunlich färbende Hose zu beachten, ohne auch nur einen einzigen Blick auf Nymus lädierten Arm zu werfen, bot er sofort an, ihn ins Krankenhaus zu fahren. Nymus kam es so vor, als habe der Mann schon vorher über den Unfall Bescheid gewusst, noch bevor er etwas davon hatte sehen können.
„ Nein, nein“, rief Nymus, der sich nervös nach einem Ausweg umsah. Da entdeckte er an dem Gartenzaun jenseits der Straße ein großes Messingschild mit der Aufschrift: „Praxis der Heilpraktikerinnen und Ärztinnen ....“ Und dann standen da fünf Namen, von denen ihm einer regelrecht ins Auge sprang, da er so seltsam war, und er fügte hinzu: „Es ist nicht schlimm. Außerdem habe ich sowieso einen Termin da drüben, bei Zawarima Marza.“ Mit seinem Kopf wies er zu dem Anwesen hinüber.
Der Mann lächelte kalt, als er auf ihn zutrat. Die Praxis interessierte ihn offensichtlich in keiner Weise.
Plötzlich fiel Nymus der Wortwechsel mit Frau Ritter heute Mittag ein. Vor Schreck blieb ihm die Luft weg. Hatte sie nicht von einem dunkelgrauen Mercedes der A-Klasse gesprochen? Von einer Frau im Business-Gewand? Von Andreas' Fahrrad, das an einen Zaun gelehnt worden war? Ihm wurde jetzt erst bewusst, dass Manuela vorhin gesagt hatte, Andreas sei
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