Dr. Poptlok Luktor und das Tor des Lichts (German Edition)
zurückgekehrt. Und nun spielte sich hier offenbar die gleiche Szene ab, wie sie der Nachbarsjunge heute früh erlebt haben musste. Sollte er, Nymus, das eigentliche Opfer sein? War Andreas' Entführung ein Irrtum gewesen?
Schon war der junge Mann herangekommen und hatte seinen drahtigen Arm um Nymus' Schultern gelegt, um ihn zu seinem Fahrzeug zu geleiten. Die Frau hatte bereits die rechte hintere Autotür aufgerissen.
Nymus sann fieberhaft über eine Fluchtmöglichkeit nach. Einfach um Hilfe rufen, schien ihm sinnlos. Die Straße war wie leergefegt. Keinen einzigen Passanten konnte er entdecken. Die Häuser lagen zu weit in den großen Gärten, als dass einem Bewohner sein Hilferuf hätte auffallen können. Er musste sich selbst helfen. Einfach unter dem Arm wegtauchen und davonrennen war unmöglich; das würde sein Knie nicht mitmachen. Außerdem schien der junge Mann sportlich recht fit zu sein. Er würde ihn gleich wieder eingefangen haben. Aber halt, Nymus war ja ein Zauberer. Welche Zauberkunst konnte ihn aus dieser Situation befreien? Der Hebe- und Schwebezauber? Nein. Der Heranzieh- und Wegschiebzauber? Blödsinn. Der funktionierte nur bei Sachen und nicht bei Personen. Na ja, das Auto könnte er wegschieben. Aber so würde er von den zwei jungen Leuten nicht loskommen. Nymus' Atem ging schneller. Sie standen bereits vor der Autotür. Die Hand des Mannes drückte seine Schulter nach unten, um ihn hineinzubefördern. Panik ergriff Nymus.
„ Großvater!“, schrie er in seiner Not.
Da hatte er unvermittelt zwei Gedanken gleichzeitig: „Zeitverzögerung“ und „Notzauber“. So rasch und so leise wie möglich flüsterte er den ersten, zum Glück sehr kurzen, Zauberspruch. Fast war er überrascht, dass der klappte. Denn alle drei Personen blieben in der gerade eingenommenen Haltung stehen. Das gab Nymus die Zeit, den Notzauber zu sprechen, den ihn der Großvater vor kurzem erst gelehrt hatte. Es war der Nicht-Denken-an-Zauber. Wenn niemand an ihn dachte, gab es ihn eigentlich auch für niemanden. Man konnte, so hoffte er, nicht etwas in ein Auto schieben, das für einen gar nicht existierte. Sehen konnte man den Betreffenden noch, aber nicht wahr nehmen.
Nymus atmete einmal tief durch, um sich zu konzentrieren. Dann murmelte er nahezu unhörbar den Spruch.
Sein Herz machte fast einen Freudensprung, als er die Verwirrung der beiden Entführer bemerkte: Die Frau sah den Mann mit schräg gehaltenem Kopf und leicht zusammengezogenen Augenbrauen fragend an, worauf der mit einem Achselzucken reagierte. Der Griff an Nymus' Schulter wurde lockerer. Vorsichtig beugte der sich noch weiter nach unten, um nun wirklich unter dem Arm durchzutauchen. Es gelang. Langsam bewegte er sich von den beiden weg, die ihn nicht mehr beachteten, und humpelte dann über die Straße. Bei dem Gartenzaun mit dem großen Messingschild blieb er stehen und drückte den Knopf der daneben angebrachten Klingel. Als der Türöffner summte, schob er das hohe Gartentor auf und betrat das Grundstück. Während das Tor wieder ins Schloss fiel, mühte er sich den geplatteten Weg entlang bis zur Haustür, die sich problemlos öffnen ließ. Er schlüpfte sogleich ins Haus.
Er atmete erleichtert auf. Den zwei Schwarzgekleideten war er erstmal entkommen. Er hinkte die Treppe hoch bis zu dem Absatz, von dem aus er durch ein Fenster auf die Straße schauen konnte. Sogleich zauberte er für seine Augen den Fernblick, mit dem er wie durch ein Fernglas sehen konnte. Die zwei redeten aufgeregt miteinander, ja sie schienen sich gegenseitig anzugiften. Nach einer Weile stiegen sie ins Auto und fuhren davon.
Sie waren fort! Nymus ließ sich auf eine Treppenstufe fallen, lehnte erschöpft seinen Kopf an die kühle Wand und schloss für einen Moment die Augen. Oberhalb der Treppe öffnete sich die Praxistür. Eine Patientin stieg herab, ging vorsichtig an ihm vorbei und verließ das Haus.
Gleich darauf trat eine Frau heraus und rief herunter: „Wer hat denn vorhin geklingelt? Ist hier jemand?“
„Ja, ich“, sagte Nymus matt.
Die Frau beachtete ihn nicht, sondern eilte an ihm vorbei nach unten, drückte an der Tür zu den unteren Praxisräumen, die jedoch schon verschlossen war, und schaute die Kellertreppe hinab. Dann zuckte sie mit den Schultern. „Niemand da“, stellte sie fest. Als sie wieder nach oben ging, achtete sie zwar darauf, Nymus nicht zu stoßen, hatte aber sonst keinen Blick für ihn.
„Ich habe niemanden gesehen“, hörte Nymus
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