Dr. Siri sieht Gespenster - Cotterill, C: Dr. Siri sieht Gespenster - Thirty-Three Teeth
gedrängt, hatten geflirtet und gelacht. Jetzt lag er ausgestorben da, wie ein riesiger Schulhof während einer Prüfung.
Er hielt neben dem einsamen weißen Denkmal für den unbekannten Soldaten. Am anderen Ende des Platzes leuchtete die dringend renovierungsbedürftige puddinggelbe Stupa des That Luang. Etwa hundert Meter von Siri entfernt spielte ein kleiner Junge in Unterhosen mit einer Konservenbüchse Fußball. Ihr lautes Klappern hallte zwischen den beiden Monumenten hin und her.
Hier war der Bär gesichtet worden. Am Montag, kurz vor Mitternacht. Siri blickte quer über den Platz zur Straße hinter der Stupa. Unweit der Straße stand sein neues Haus.
Das war seine zweite Sorge. Der Bär hatte ihn am frühen Morgen im Schlaf heimgesucht. Aber wenn der Bär ihm tatsächlich als Geist erschienen war, musste er – logischerweise – tot sein. Nur warum hatte dann niemand seinen Kadaver gefunden? Und wenn er nicht tot war, gab es nur eine mögliche Schlussfolgerung: Die stinkende, blutverschmierte Bestie, die ihn aus dem Schlaf gerissen hatte, war lebendig gewesen. Quicklebendig.
Zwanzig Meter vor seiner Haustür schaltete er den Motor aus und schob das Motorrad in den Vorgarten, doch Fräulein Vong entkam er nicht. Sie musste gegen den Lautsprecher an der Straßenecke anschreien, aus dem soeben ein Rezept für Haarspülung aus eingeweichten Jackfruits plärrte.
»Guten Abend, Genosse Doktor. Heiß heute, was? Ich habe gerade einen Topf leckeren Tarobrei gekocht.«
»Schön für Sie, Fräulein Vong.«
»Ich bringe Ihnen welchen rüber.«
»Nein, danke.«
»Papperlapapp. Sie gehen jetzt brav unter die Dusche, und ich bin in einer halben Stunde bei Ihnen.«
Er wollte eben zu einer Ausrede anheben, doch da war ihr Kopf auch schon wieder im Haus verschwunden. Sie war eine schrecklich lästige Person, dürr und unansehnlich wie eine selbstgedrehte Zigarette. Sie waren schon früher Nachbarn gewesen, und nachdem das Haus, in dem sie gewohnt hatten, in die Luft geflogen war, hatte die Planungsabteilung angenommen, dass sie sich auch in ihrem neuen
Domizil nahe sein wollten. Zum Glück hielt ihre Arbeit im Bildungsministerium Fräulein Vong so sehr auf Trab, dass sie Siri nur selten in die Quere kam.
Er stand an seinem Gartentor und sah zum größeren und sehr viel schöneren Haus seines anderen Nachbarn hinüber, eines Parteikaders aus Oudomxai. Die schweigsamen Kinder des Mannes flitzten auf nagelneuen Fahrrädern die Straße entlang. Ein leerer Scotch-Whisky-Karton und die Verpackung einer Stereoanlage hatten einen Monat neben der Mülltonne gestanden, damit auch jeder sehen konnte, wie unverschämt korrupt er war.
Siri fragte sich, für welchen Gefallen er so reichlich belohnt wurde, dieser kleine Dorfvorsteher aus dem Norden, der allabendlich auf seiner Veranda saß und eine Pistole reinigte. Er ignorierte seine Nachbarn und schien sich auch für seine Familie nicht zu interessieren. Falls er überhaupt einer Arbeit nachging, dann während Siri schlief.
Saloop begrüßte ihn aus vierzig Metern Entfernung mit einem Bellen und trottete fröhlich seinem Zuhause entgegen. Siri sah den prallen Bauch des Hundes und fragte sich, wer ihn derart gemästet hatte. Den Eimer mit Reis und Küchenabfällen, den Siri ihm morgens hinstellte, rührte er jedenfalls nicht an.
»Willkommen daheim, wackerer Haushund.«
Saloop reckte den Kopf, um gekrault zu werden.
»Dir ist hoffentlich klar, dass bei uns hätte eingebrochen werden können, während du dich anderweitig verlustiert hast?«
Das war natürlich schamlos übertrieben. Brachiale Gewalt wäre nicht nötig gewesen. Da alle bekannten Verbrecher auf den Inseln im Nam-Ngum-Stausee hinter Schloss und Riegel saßen, machte sich kaum noch jemand die Mühe, seine
Haustür abzuschließen. Außerdem hatte Siri ohnehin nichts, was sich zu stehlen lohnte.
Er entnahm seinem Motorrad einen mysteriösen Gegenstand und ging damit ins Haus. Er war in eine Decke gehüllt und mit Klebeband umwickelt. Gespannt mit dem Schwanz wedelnd, trabte Saloop ihm hinterdrein. Der Doktor entzündete eine Lampe und nahm sein Geheimnis mit in den Garten zu einem vorsorglich ausgehobenen Grab. Er hatte mit der Länge fast genau richtig gelegen. In diesem entlegenen, vor allzu neugierigen Blicken geschützten Winkel des Gartens vergrub er die Decke mitsamt ihrem Inhalt.
Er wollte sich eben die Erde von der Hose wischen, als sein Blick auf den Wellblechzaun fiel. Der Zaun trennte sein
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