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Drachen der Finsternis

Titel: Drachen der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Michaelis
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es?«, fragte einer der Uniformierten, »der in der schwarzen Nacht durch das Land wandert, wo sonst niemand unterwegs ist?«
    »Wer ist es«, fragte ein anderer, »der uns einen Drachen auf den Hals hetzt?«
    »Wer ist es, und wie alt ist er?«, fragte ein Dritter. »Mir scheint, nicht viel mehr als ein Junge.«
    Christopher öffnete den Mund, um etwas zu erwidern, doch Jumar sprach für ihn.
    »Ich bin vielleicht nur ein Junge«, erwiderte er feierlich, »doch ich bin nicht irgendjemand. Ich bin der Sohn des Königs.«
    Ein schiefes Lächeln stahl sich auf die Gesichter über den steifen grünen Kragen.
    »Wohl kaum«, sagte der größte der Männer. »Der König hat keinen Sohn.«
    Christopher spürte Jumars Hand, die ihm ein Zeichen gab, und hob die seine, die Handfläche nach vorne gerichtet, in die Luft. Gleich darauf erschien der Siegelring in der Luft, golden funkelnd im Licht der Petroleumlampen.
    »Erkennt ihr das Wappen eures Königs?«, fragte Jumar.
    Christopher sah, wie die Augen der Männer sich weiteten. Der Ring segelte ohne Eile durch die Luft und blieb vor dem Gesicht des Mannes mit den meisten Abzeichen auf der Brust stehen. Der Mann machte einen Schritt zurück, der Ring folgte ihm, berührte beinahe – aber nur beinahe – seine Nasenspitze – und verschwand.
    Angespanntes Schweigen füllte das Zelt.
    »Wer immer Ihr seid«, sagte der Mann mit den Abzeichen. »Ihr seid mir nicht geheuer. Was wollt Ihr von uns?«
    »Ein Nachtlager«, erklärte Jumar zufrieden. »Eine Schale Reis. Mehr nicht.«
    Christopher merkte, dass Jumar Spaß an dem Spiel mit dem Ring zu finden begann, und das besorgte ihn, aber er war froh um das Essen und froh um das Nachtlager, und es war ein gutes Nachtlager, das man dem Fremden bereitete auf weichen Decken und Kissen, selbst für zwei groß genug.
    Denn immerhin war er – auch, wenn man es nicht genau wissen konnte – vielleicht der Sohn des Königs.
    Christopher hatte gedacht, dass er in dieser Nacht so fest schlafen würde wie nie, die Erschöpfung legte sich mit den Decken um ihn wie ein stählerner Mantel. Doch er erwachte, als die Dunkelheit noch so dicht war wie zuvor. Sie war sogar noch dichter geworden, denn die Petroleumlampen waren erloschen. Der saure Geruch von Schweiß und Leben hing über den stillen Körpern auf dem Boden.
    Er blieb regungslos liegen und lauschte. Neben ihm atmete Ju-mar den ruhigen Atem traumlosen Schlafs.
    Was hatte ihn geweckt?
    Ein Geräusch? Eine Bewegung? Sein eigener Traum?
    Da – da war etwas, beim Eingang des Zeltes. Jetzt sah Christopher den glühenden Punkt einer Zigarette in der Nacht glimmen. Die Stoffbahnen des Zelteingangs klafften ein Stück weit auseinander, und draußen stand ein Schemen, ganz allein. Da waren Worte im Wind, leise, geflüsterte Worte, und ein Rauschen, ein Knacken und Knistern. Es dauerte lange, bis Christopher begriff: WHITE NOISE, dachte er.
    Das Rauschen eines Radios, wenn der Sender sich nicht einstellen lässt.
    Aber nein, natürlich war es kein Radio. Es war ein Funkgerät.
    »Schlaf weiter«, sagte er im Stillen zu sich selbst. »Sicherlich hat es seine Ordnung, dass nachts jemand funkt auf einem Militärstützpunkt.«
    Doch dann schälte er sich leise aus den Decken und schlich zum Eingang des Zeltes. Wie sehr hätte er gewünscht, er könnte dieses eine Mal Jumars Unsichtbarkeit leihen!
    Beim Zelteingang blieb Christopher auf allen vieren hocken und lauschte wieder. Und jetzt konnte er die Worte verstehen, die da gesprochen wurden.
    »Und jetzt? Hallo? Könnt Ihr mich jetzt hören? Wie? Nein. Um ungefähr elf Uhr. Ja.
    Das habe ich auch gesagt, aber er hat einen Siegelring mit dem Wappen des Königs. Natürlich kann er falsch sein – die Sache ist – Wie? Oh, verdammt. Und jetzt? Ja. Ich sagte, die Sache ist, er lässt ihn in der Luft schweben. So etwas habe ich noch nie gesehen. Die Männer haben natürlich Angst. Die Stimmung ist – wie? Zur Hölle mit dem Gerät! Was? Wie bitte? Nein, nein, ich habe verstanden, der Empfang ist jetzt in Ordnung, aber – er ist wirklich fortgelaufen? Das ist – sagen wir – Ironie. So ist er uns genau in die Arme gelaufen.«
    Eine Weile vernahm Christopher nur Knacken und Rauschen.
    Dann sagte der Mann: »Natürlich. Sehr wohl. Wie? Nein, ich habe nicht verstanden – noch einmal – ja. Sicher. Persönlich? Wann können Sie hier sein? Die Maos? Nein. Wir haben keinen Einzigen von denen gesehen. Es ist ein guter Stützpunkt hier. Wer immer sich

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