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Drachen der Finsternis

Titel: Drachen der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Michaelis
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Händen, der irritiert damit wedelte.
    »Ich bin es gewohnt, allein zu reisen«, erwiderte er. Was für eine schamlose Lüge! Wie froh war er, dass Christopher bei ihm war! »Und es wäre sicher nicht gut, mit dem Militär dorthin zu kommen, wo ich hinmöchte. Ihr versteht.«
    Der Leutnant neigte untertänig den Kopf.
    »Wir begleiten Euch bis zur großen Brücke«, erklärte er. »Bis dorthin und nicht weiter. In einer Viertelstunde können wir aufbrechen.«
    So reiste der Kronprinz des Landes, auch wenn ihn keiner sah, dieses eine Mal mit einer kronprinzlichen Eskorte.
    Und wahrlich, was für eine fabelhafte Eskorte es war! Zum ersten Mal seit ihrem Aufbruch saß Jumar auf einem Pferd – natürlich saß Christopher auch darauf, und es war ein Glück, dass es ein so großes Pferd war.
    Der Leutnant mit den Orden ritt voran durch die farblose Landschaft, und hinter dem Pferd des Kronprinzen ritten noch mindestens ein Dutzend anderer Soldaten, ihre Helme und ihre Waffen glänzend im Licht des Morgens: farbige Flecken in der schwarz-weißen Charakterlosigkeit ringsumher.
    Dann kam das Fußvolk und dann die Mulis, deren Sinn Jumar zunächst nicht klar war, bis der Leutnant ihm mit einem stolzen Lächeln erklärte:
    »Sie tragen die Töpfe und Pfannen. Habt ihr das Zicklein gesehen, das sie am Strick mit sich führen? Vor der Brücke werden wir ein königliches Mittagsmahl für Euch zubereiten, ehe wir Euch diesen schweren Weg alleine gehen lassen.«
    Er seufzte, doch sein Seufzen erschien Jumar irgendwie unecht.
    Er ließ das Pferd ein wenig zurückfallen, denn er spürte, dass Christopher ihm etwas sagen wollte.
    »Komm zu dir, Jumar!«, zischte Christopher gleich darauf in sein Ohr. »Dieses ganze Getue ist eine Farce! Sie sind in keiner Weise interessiert daran, dass dein Vater einen Nachfolger hat!«
    »Glaub mir, das Getue ist normal«, flüsterte Jumar. »Sie tun diese Dinge eben auf diese Weise.«
    »Du bist und bleibst ein starrköpfiger Idiot!« wisperte Christopher, und Jumar hörte, dass er wirklich wütend war.
    Der Leutnant ritt an ihnen vorüber, tippte sich an die Mütze und murmelte etwas von »... die Maultiere kontrollieren". Nun ritt ein anderer Soldat an der Spitze der Eskorte.
    Jumar sah, wie Christopher sich umdrehte, und folgte seinem Blick.
    Hinten, am Ende des Zuges, war das Ohr des Leutnants mit einem Funkgerät verwachsen.
    »Siehst du?«, zischte Christopher. »Siehst du, was er da tut? Er informiert irgendjemanden darüber, wohin wir reiten. Ich wette mit dir um alles, was ich habe —«
    »Das ist aber nicht gerade beeindruckend«, wisperte Jumar, »um dieses rote T-Shirt würde ich nicht wetten wollen. Es klebt an meiner Haut wie ein Sack.«
    »Vielen Dank auch. Nachts hat er schon einmal mit jemandem gesprochen. Ich habe ihn belauscht. Du gibst diesem Pferd besser die Sporen, und wir machen uns davon.«
    »Warum soll der Leutnant nicht mit jemandem sprechen? Die Funkgeräte gehören zum Militär wie die Waffen. Gib du doch dem Pferd die Sporen!«
    »Ich kann nicht reiten«, sagte Christopher.
    »Was kannst du eigentlich? ... Christopher?... Christopher?«
    Aber Christopher kniff die Lippen zusammen und sagte den ganzen Weg über nichts mehr.
    Jumar fühlte sich schlecht wegen der Bemerkung mit dem T-Shirt und der mit dem Reiten, denn solche Bemerkungen entsprachen nicht der Erziehung eines Königssohnes. Aber er war zu trotzig, um sich zu entschuldigen.
    Der Boden stieg wieder an, die Ebene wich den bekannten grünen Schatten des Waldes, die mageren, trockenen Wacholderbüsche blieben zurück, und die schwüle Luft unter dem Blätterdach wurde eins mit dem Summen der Moskitos.
    Aber wie dankbar war Jumar nun für die Moskitos, brachten sie doch die Farben des Waldes mit sich! Das Gelb und Braun des verdorrten Laubes auf dem Weg, das Aufflackern eines violetten Schmetterlings in einem Sonnenstrahl, die roten Adern in vielfïngrigen Blättern, die orangefarbenen Blüten, die ein Baum von seinen moosigen Ästen auf den Weg gestreut hatte.
    Es war, als atmeten seine Augen auf, als täte seine Seele einen tiefen Seufzer. Noch gab es Farben. Noch kamen die Drachen nur manchmal hier herunter. Noch war keine Bedrohung auf dem Weg in die tiefen Täler – auf dem Weg in die Hauptstadt: weder die Drachen noch die Aufständischen.
    Noch blieb ihm Zeit, alles zum Guten zu ändern.
    Die Sonne war bereits bis zum höchsten Punkt ihrer Bahn gekrochen und rief den Mittag aus, als der Wald jäh am

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