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Drachen der Finsternis

Titel: Drachen der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Michaelis
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Christopher. »Wie werde ich sie los?«
    »Angeblich kann man Salz darauf streuen«, meinte Jumar. »Aber da wir keine Feldküche mit uns herumtragen, würde ich vorschlagen, du streifst sie einfach ab. Christopher betrachtete die sich windenden Egel voller Abscheu. Dann schluckte er und versuchte, einen von ihnen zu packen. Doch der glitschige Körper entglitt ihm immer wieder. Es dauerte, bis er alle Blutegel von seinen Füßen entfernt hatte, und nun lief das Blut erst recht aus den Löchern, die sie hinterlassen hatten.
    »Sie spritzen einen Stoff hinein, der die Gerinnung verhindert«, erklärte Jumar. »Hirudin. Biologie, Privatunterricht bei einem verrückten Kriechtierforscher. Rrrg!«
    »Was ist?«
    »Ich – ich habe sie auch!«
    Da erst sah Christopher die Egel, die sich neben ihm wenige Zentimeter über dem Boden in der Luft wanden.
    »Verflixt!«, rief Jumar. »Christopher, hilf mir! Wie kriege ich diese Biester wieder ab?«
    Christopher grinste. »Angeblich kann man Salz darauf streuen«, sagte er. »Aber da wir keine Feldküche mit uns herumtragen, würde ich vorschlagen, du streifst sie einfach ab.«
    Blutegel machen keinen Unterschied zwischen sichtbarer und unsichtbarer Beute. Sie sind so blind wie taub. Alles, was sie de-tektieren können, ist Körperwärme, und sie scheren sich wenig darum, ob es adeliges Blut ist, das sie saugen. Blutegel sind von Grund auf kommunistisch veranlagt.
    An diesem Abend erreichten sie kurz vor Sonnenuntergang eine seltsame Landschaft, die Christopher an die Heide zu Hause denken ließ. Der Urwald hatte sich zurückgezogen wie ein scheues Tier, und der Pfad, den sie entlangwanderten, führte mitten über eine weite Ebene, die bedeckt war mit niedrigem Gras wie mit einem struppigen Pelz. Nur die schmalen Figuren schlanker Büsche ragten hier und da daraus auf wie anklagende Finger.
    »Wacholder«, stellte Christopher erstaunt fest. »Es sind tatsächlich Wacholderbüsche.«
    Eine merkwürdige Stimmung lag über der Ebene, und als die Sonne sank, frischte der Wind auf. Er sang im Wacholder ein unverständliches Lied, fegte das trockene Erdreich zwischen den Grashalmen in Staubwolken über das Land und entlockte dem Abend tausend pfeifende, zischende, wispernde Stimmen, die Christopher und Jumar zu folgen schienen.
    In der Ferne lag ein Hang, dem die Farben fehlten. Die glühenden Farben der untergehenden Sonne fanden dort keinen Widerschein – es war, als schluckte die schwarz-weiße Fläche das Licht. Das Gras, das dort wuchs, und die Heide, die dort stand, schienen tot und hohl, obgleich sie lebten. Immer wieder blieb Christopher stehen und sah sich um.
    »Vielleicht sind sie ganz nah«, flüsterte er. »Die Drachen.«
    »Ach was«, sagte Jumar. Aber es klang nicht überzeugend.
    Der farblose Hang zog ihre Blicke an wie ein mahnender Zeigefinger.
    Und dann glomm das letzte Licht am Himmel auf wie ein Streichholz und verlosch.
    Sie standen im Dunkeln.
    »Wir sollten uns einen Schlafplatz suchen«, sagte Jumar unbehaglich.
    Christopher fröstelte. Die Grasfläche bot nirgends Schutz vor dem Wind; nur die Wacholderbüsche streckten ihre mageren Körper daraus auf und wollten ihnen nicht helfen.
    Der Mond kam für eine Sekunde hinter den Wolken hervor. Er war beinahe voll, und sein Licht malte Pfützen voll sich windender Schatten auf den Pfad. Dann zog er sich die nächste Wolke vor sein weißes Gesicht und tauchte sie wieder ins tintige Wasser der Nacht.
    »Lass uns weitergehen«, flüsterte Christopher. »Irgendwann muss diese Ebene schließlich aufhören. Hast du die Taschenlampe?«
    Er hörte Jumar im Dunklen in seinem Rucksack kramen, hörte ein metallenes Klicken, und ein schwacher Lichtkreis erschien auf dem Weg. Das Licht zitterte, flackerte und erlosch.
    »Die Batterien«, sagte Jumar. »Das war's dann wohl.«
    »Ich glaube, in meiner linken Hosentasche sind Streichhölzer«, sagte Christopher.
    Wieder kramte Jumar. »Und was willst du damit anzünden?«
    »Ich mag diese Büsche nicht«, flüsterte Christopher. »Wir können ihr Holz ebenso gut als Fackeln benützen.«
    Als er sich einem der schwarzen Umrisse näherte, war es ihm für einen Moment, als wiche der Wacholder zurück, und dann biss er Christopher mit seinen winzigen Nadelblättern in die Hände. Die Nacht hauchte den Dingen eine seltsame Art von feindlichem Leben ein.
    Christopher kämpfte eine Weile mit dem Wacholder und entriss ihm dann einen großen, vertrockneten Ast. Tote Nadeln rieselten über

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