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Drachen der Finsternis

Titel: Drachen der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Michaelis
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mit ihm gesprochen hatte.
    Ja, das musste es gewesen sein. Womöglich war Christopher nur blass, weil er schlecht geschlafen hatte.
    Was für ein wunderbarer Morgen es war! Sie hatten den Tisch für den Thronfolger draußen auf der Wiese gedeckt, einen Klapptisch sogar, und Christopher saß auf einem Kissen, während Jumar sein Frühstück vom Boden aus einnahm. Im farblosen Wacholder sangen jetzt Dutzende kleiner Vögel.
    Der Himmel war blau, und die Sonne strahlte mitten darin ohne jeden Makel. Und wie die Abzeichen auf den Uniformen der Soldaten glänzten und gleißten in ihrem Licht!
    Vielleicht würde er später auch eine solche Uniform tragen, wenn er eines Tages König war, dachte Jumar im Stillen und salzte sein Ei.
    Einer der Soldaten blinzelte verwundert, als der Salzstreuer verschwand und wieder auftauchte und als gleich darauf der Eierbecher samt Ei nirgends mehr zu sehen war. Aber er getraute sich offenbar nicht, ein Wort darüber zu verlieren.
    Der Thronfolger Nepals fühlte, wie er die Farblosigkeit der Landschaft beinahe vergaß und ihn etwas Warmes durchströmte: ein Gefühl von zu Hause. Sosehr er sich gesagt hatte, er könnte den Palast nicht eine einzige Minute länger sehen, die Privatlehrer und das weiche Bett und die frischen Früchte und die weichen Kleider nicht eine einzige Minute länger ertragen – nun musste er zugeben, dass es wunderbar war, einmal satt zu werden und einmal rundherum zufrieden zu sein.
    Und auch das war etwas Neues, das er lernte.
    »Verzeihung«, sagte der Soldat, der hinter ihm stand, die Hände auf dem Rücken und bereit, ihn (oder Christopher) zu bedienen. »Sagtet Ihr interessant?«
    »Oh, äh, nein«, erwiderte Jumar schnell, denn er konnte unmöglich erklären, was ihm durch den Kopf gegangen war. Nicht diesem Soldaten.
    Er beendete sein Frühstück, bedankte sich mit der Höflichkeit, die einem Königssohn gebührt, denn seine Privatlehrer hatten auf diesen Teil seiner Erziehung besonders geachtet, und räusperte sich.
    »Nun werde ich wieder aufbrechen«, erklärte er.
    Eine Weile war es still um ihn.
    »Aufbrechen?«, fragte einer der Soldaten dann. Es war der mit den zahlreichen glänzenden Abzeichen auf der Brust. »Wohin, Eure Hoheit?«
    »Weiter in diese Richtung.« Er nahm Christophers Arm und zeigte ungefähr den Pfad entlang.
    »Mein Ziel ist das Lager der Ma...«
    »Psst«, machte der Soldat und legte schnell einen Finger an den Mund.
    »... ist das Lager der Terr...«
    »Psst!«
    »... der Komm...«
    »Psst«, machte der Soldat zum dritten Mal. Jumar verdrehte die Augen und war froh, dass man es nicht sah.
    »Nun, ihr Basislager«, beendete er seinen Satz. »Ihr Hauptstützpunkt.«
    Glaubten sie denn alle, die Maoisten kämen hinter den Wacholderbüschen hervorgesprungen, sobald man ihren Namen aussprach? Glaubten sie, es hinge eine Art Magie an dem Namen? Schon in den Dörfern hatte er Ähnliches erfahren. Aber hier, beim Militär! Wie schön ihre Zelte im Sonnenschein glänzten (es waren ihrer drei, das hatte er heute Morgen bemerkt) und wie stolz ihre Pferde schnaubten, die im Schatten angepflockt waren. Hatten die Soldaten etwa Angst – Angst vor den Aufständischen?
    Das wollte der nepalesische Thronfolger nicht hoffen. Er hatte gelernt, dass die Soldaten seines Vaters furchtlos und edel, tapfer und klug, kühn und großmütig waren, und so sollte es bleiben.
    »Niemand weiß, wo genau dieser Stützpunkt ist«, antwortete der Mann mit den Orden. »Womöglich gibt es ihn überhaupt nicht.«
    »Ich werde ihn finden«, erklärte Jumar. »Egal, was die Leute sagen. Ich muss mit ihrem Anführer sprechen, denn ich habe ein Angebot für ihn. Ich reise im Namen meines Vaters, des Königs, und er hat mich mit einem Teil seiner Macht ausgestattet. Ich kann ihn nicht enttäuschen.«
    Er sah, wie Christopher die Stirn runzelte, als er die Lippen zu diesen Worten bewegte. Und er wusste, was Christopher dachte, und es machte ihn wütend: Ja, dachte er, ja, Jumar, das wünschst du dir. Dass dein Vater an dich denkt und dass er dir seine Macht geschenkt hat. Aber es ist nicht so.
    Jumar sah auch, wie die Männer einen Blick wechselten.
    Er konnte nicht lesen, was in ihrem Blick lag.
    Ein Angebot für ihn.
    Das mochte sie verwundern.
    »Wenn es so ist«, sagte der mit den Abzeichen schließlich, und Jumar begann, ihn im Geiste den Leutnant zu nennen, »– wenn es so ist, werden wir Euch begleiten.«
    Jumar versuchte eine abwehrende Bewegung mit Christophers

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