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Drachen der Finsternis

Titel: Drachen der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Michaelis
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nachgezogen, und sie sind nicht zurückgekehrt. Meine Mutter hat sich im Fluss hinter unserem Dorf ertränkt, als die Soldaten kamen, um sie nach ihnen zu fragen. Ich aber habe mich versteckt, und ich bin in die Berge gezogen, und man sagte mir, dass sie auch meine Brüder getötet haben. Mein Name ist Niya, und ich bin eure Schwester. Denn ich habe sonst niemanden mehr.«
    Die Menge schwieg nun, kein Laut war zu hören, und in der Stille sanken die Worte des Mädchens in die Herzen der Menschen auf dem Dorfplatz und begannen darin zu keimen wie grüne Samen.
    »Eure Kinder hungern«, wiederholte das Mädchen mit Namen Niya, »denn die Früchte in euren Gärten sind farblos, der Reis auf den Feldern ist farblos und macht nicht satt. Ihr sitzt in der Klemme wie furchtsame Tiere: Auf der einen Seite lauern die Drachen, lauert der Hunger. Auf der anderen Seite lauert Kar-tan. Und die einzige Macht, die Drachen besiegen kann und Kar-tan in seine Schranken weisen, ist die Macht des Königs. Ihr wisst das. Und ich weiß es. Und jeder Kämpfer in den Bergen weiß es. Nur der König scheint es vergessen zu haben. Aber wir, wir werden uns die Macht holen. Wir sind stark, und wir werden noch stärker werden. Wir sind viele, und wir werden noch mehr werden. Und bald, bald schon werden wir nach Kathmandu hinunterziehen, wir werden Kartans Truppen so weit fortjagen, dass sie den Rückweg nie, niemals finden, und alles wird sich ändern. Es wird keine Reichen mehr geben und keine Armen. Die Tore des Palastes werden offen stehen. Und der König wird weinen.«
    Sie strich sich das verfilzte, schwarze Haar zurück und sah in die Runde, wie sie es zu Anfang getan hatte. Es war, als sähe sie jedem Einzelnen in die Augen. Niemand konnte sich ihrem funkelnden Blick entziehen. Und Christopher spürte, wie ein Funken ihres Feuers sich auch in ihm entzündet hatte, winzig, glimmend. Hell.
    Voller Hoffnung.
    »Wir in den Bergen«, schloss das Mädchen, »wir brauchen euch. Der große T, von dem ich euch nichts erzählen muss, braucht euch. Auch er ist euer Bruder, wie er mein Bruder ist, und er wartet auf euch. Auf jeden Einzelnen von euch. Männer und Frauen. Wer mutig ist, der wird zu uns stoßen und uns helfen, für Gerechtigkeit zu kämpfen. Heute Nacht, wenn der Mond aufgeht, warten wir oben auf dem nördlichen Hang auf euch.«
    Sekundenlang schwieg die Menge noch, dann begannen einige zu klatschen, und schließlich stimmten alle mit ein. Christopher sah auf seine Hände hinab und merkte, dass auch er klatschte. Die Worte des Mädchens mit dem glühenden Blick und dem wilden Haar hatten einen Anker in seinem Herzen gefunden.
    Waren nicht Leute wie dieses Mädchen es, die Arne gefangen hatten? Aber mit einem Mal begann er zu zweifeln. Hielten sie Arne wirklich gefangen? Oder war dies alles ein großes Missverständnis? Arne hätte ihrer Rede Beifall gespendet. Arne wäre mit ihr gegangen, Arne: groß, blond und mutig, bereit, für Gerechtigkeit zu kämpfen.
    Vielleicht war es genau das, was geschehen war. Vielleicht war er freiwillig bei den Aufständischen.
    Vielleicht hatten sie ihnen damals, auf dem Weg am unterirdischen Fluss entlang, nur die Augen verbunden, damit sie später nicht das Geheimnis jenes Weges verraten konnten. Jumar hatte nichts davon gesagt, dass man sie gefesselt hatte ...
    Der Gedanke war so unerhört und neu, dass er Christopher schwindelig machte. Aber ja, so musste es sein. Er stand einen Moment lang benommen, blinzelte – diese Augen – es war, als hätten sie ihn verhext.
    Und dann war es, als schnellte die Zeit vor wie ein Gummiband: Christopher merkte, dass er mit untergeschlagenen Beinen im Staub des Dorfplatzes saß. Die Leute hatten ein Festmahl für ihre Gäste aufgetischt, und es schien ganz natürlich, dass auch er und sein unsichtbarer Begleiter daran teilnahmen: Aber wie sehr unterschied sich dieses Festmahl von jenem, das in der Feldküche der Soldaten für den Kronprinzen zubereitet worden war!
    Wie viel ärmlicher war es, und doch wie viel ehrlicher! Vielleicht, dachte Christopher, waren dies die letzten Vorräte, die das Dorf hatte – die letzten Vorräte, die noch Farbe enthielten, noch Leben und Geschmack: die letzten gelben Aprikosen, die letzten grünen Bohnen, der letzte Reis, der satt machte. Beinahe schämte er sich, davon zu essen, aber die Menschen neben ihm drängten ihn dazu, und der Hunger in seinem Magen ließ sich nicht länger ignorieren.
    Seine Augen suchten das Mädchen mit

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