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Drachen der Finsternis

Titel: Drachen der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Michaelis
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dem wirren Haar und fanden es am anderen Ende des Platzes, umringt von einer Schar Männer, die ihr Fragen zu stellen schienen. Sie hatte das Gewehr im Schoß wie ein Kind, während sie aß. Einmal sah sie zu Christopher hinüber – oder vielleicht sah sie nur zufällig in seine Richtung, aber er senkte den Blick.
    Näher bei ihnen saß einer derer, die getrommelt hatten, und Christopher hörte, wie einer der alten Männer aus dem Dorf ihn fragte: »Ist es wahr, dass ihr den Feldern die Farben zurückgebt?«
    Der Trommler schien zu zögern. »Es ist wahr«, antwortete er schließlich. »Wir geben ihnen die Farbe zurück.«
    »Und der Reis wird wieder grün sein? Und die Aprikosen werden wieder gelb sein?«
    »Sie werden nicht mehr gelb sein«, erwiderte der Mann. »Aber sie werden wieder satt machen.«
    »Und die Bronzestatuen? Ist es auch wahr, dass ihr sie zurückverwandelt?«
    Da wiegte der Mann den Kopf. »Wir werden beginnen, es zu tun«, sagte er, »bald, bald. Sobald sie eine Methode gefunden haben, die Drachen zu fangen. Bisher ist es nicht gelungen. Aber die dort oben im Gebirge, die arbeiten daran. Wir werden euch alles zurückgeben, was ihr verloren habt, wenn ihr uns helft.«
    Dann schwieg er für den Rest des Mahles. Die Aprikosen –nicht wieder gelb – aber was dann? Christopher begriff nicht, doch in diesem Moment begriff er nichts, es kam ihm vor, als spräche die Welt um ihn herum mit einem Mal eine andere Sprache. Er verstand ihre Worte, er hörte ihre Sätze, doch sie drangen nicht zu ihm durch.
    »Wenn wir ihnen folgen, führen sie uns vielleicht dorthin, wo wir hinwollen«, wisperte Jumar an seiner Seite. Christopher zuckte zusammen. Er hatte Jumar beinahe vergessen.
    »Zum Basislager«, fuhr Jumar flüsternd fort, »wohin ich die ganze Zeit über wollte. Wo vermutlich auch dein Bruder ist.«
    »Sicher«, murmelte er. »Wir folgen ihnen.«
    Und er dachte, dass er jetzt an Arne denken musste, dass er ihm vielleicht schon ganz nah war ... aber ein Paar brennender Augen hatte Arnes Platz in seinem Kopf eingenommen, plötzlich und ohne um Erlaubnis zu fragen.
    Sie verließen das Dorf vor den Männern, ohne dass jemand überhaupt etwas davon bemerkte.
    Eine Hausmauer warf ihren freundlichen Schatten über sie, und die Sonne ging groß und oval hinter den Bergen unter, rot wie Blut, glühend wie die Augen des Mädchens.
    Sie warteten lange, schweigend.
    Irgendwann kam eine Gruppe von Männern auf Pferden und Maultieren vorbei, Christopher zählte dreizehn. Die Satteltaschen barsten beinahe von dem, was ihnen das Dorf mit auf den Weg gegeben hatte, und das Mondlicht spiegelte sich auf den blanken Läufen ihrer Waffen. Sie sangen – nicht die Internationale, sondern ein langsames, leises, melancholisches Lied, deren Worte Christopher nicht auszumachen vermochte.
    »Wo – wo ist sie?«, flüsterte Jumar, als die Männer vorbei waren.
    »Vielleicht reitet sie nicht mit ihnen zurück«, antwortete Christopher. »Vielleicht hat sich ihre Gruppe getrennt, und ein Teil von ihnen zieht zum nächsten Dorf weiter.«
    »Ja, vielleicht«, sagte Jumar. Christopher hörte die Enttäuschung in seiner Stimme, schlecht verborgen. Und hörte er nicht die gleiche Enttäuschung als stillen Widerhall in sich selbst?
    »Du hättest sie gerne noch einmal gesehen, nicht wahr?«, fragte Christopher wispernd.
    Er bekam keine Antwort.
    »Jumar«, sagte Christopher, »sie ist eine von denen, die du töten willst! Eine von ihren Anführern!«
    »Sei still«, sagte Jumar schroff, und Christopher hörte Stoff rascheln, als er sich erhob.
    Aber er hörte noch etwas. Etwas, das Jumar murmelte, mehr zu sich selbst:
    »Und der König – der König wird weinen.«
    Denn das war es, dachte er, was er wollte, der Thronfolger Nepals. Die Reue seines Vaters, der ihn niemals ernst genommen hatte.
    »Wir müssen los. Wenn wir sie nicht verlieren wollen, ist es höchste Zeit, denn sie sind zu Pferd.«
    Der Hang im Norden des Dorfes war kahl und karg wie der Mond, dessen fahles Licht ihn beschien. Schotter bedeckte seine Oberfläche zwischen einzelnen Grasbüscheln, und man konnte kaum sagen, wo der Weg sich befand. Die Pferde zeichneten sich als schwarze Klumpen über ihnen ab, und sie hörten, wie ihre Hufe im Schotter Halt suchten. Kleine Steine rieselten ihnen entgegen.
    »Wenn sie sich jetzt umdrehen«, wisperte Christopher, »sehen sie uns in diesem Licht so klar wie am Tag.«
    »Sie drehen sich nicht um«, flüsterte Jumar, und er

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