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Drachen der Finsternis

Titel: Drachen der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Michaelis
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behielt recht.
    Der Hang endete unterhalb einer steilen Felswand, und dort verloren sie die Schemen der Reiter aus den Augen: Ihre Schatten verschmolzen mit denen der Wand, und vermutlich warteten sie dort unter den überhängenden Felsen auf jene Mutigen aus dem Dorf, die sich ihnen anschließen wollten.
    Christopher sah sich um.
    Unter ihnen lag der Hang leer im Mondlicht. Das Dorf schien zu schlafen. Jetzt, bei Nacht, war kaum zu sehen, dass ihm die Farben fehlten, und es wirkte so friedlich wie ein Bild.
    »Feiglinge«, hörte er Jumar zischen.
    »Wie?«, fragte Christopher irritiert.
    »Oh, nichts. Komm weiter.«
    Aber viel weiter kamen sie nicht.
    Denn kurz drauf spie das friedliche Bild der Hütten einen Trupp Reiter aus, der vom Tal her heraufstürmte, als wäre der Teufel hinter ihm her. Zuerst dachte Christopher: Das sind die Männer des Dorfes. Sie haben sich doch noch entschlossen, den Aufständischen zu folgen. Dann dachte er: Aber warum haben sie es so eilig? Und wie kommt es, dass sie auf jenen stattlichen, hochgewachsenen Pferden sitzen, die in den Bergen so selten sind?
    Und dann dachte er: Sie kommen genau auf uns zu. Auf mich. Denn ich bin alles, was sie sehen.
    Und wie gut sie ihn sahen, auf dem kahlen Hang in der mondhellen Nacht!
    Wie eine Zielscheibe stand er auf dem Schotterweg, wie eine Strohpuppe auf einem Übungsplatz, wo man denen, die es nicht lernen wollte, das Schießen beibrachte.
    »Uniformen«, sagte Christopher. Er war stehen geblieben, denn es lohnte sich nicht mehr fortzulaufen, und er sprach laut, denn es lohnte sich nicht mehr zu flüstern. »Sie tragen Uniformen. Ich kann ihre Schulterklappen sehen.«
    »Kartans Männer«, sagte Jumar. »Sie sind nicht hinter den Maos her.«
    Die Worte fielen in die Dunkelheit wie Blutstropfen in klares Wasser. Sie breiteten sich darin aus und gaben der Nacht einen strengen Geruch nach kaltem Stahl und schwitzender Angst.
    Kartans Männer.
    Sie näherten sich rasch, das Getrappel der Pferdehufe zerbrach die Stille in tausend kleine Stücke, und es war, als könnte man Kartans Atmen darin hören wie den einer großen Raubkatze, dichter und dichter –
    Was sollen wir tun?, wollte Christopher fragen, doch er wusste, dass es keine Antwort darauf gab.
    Er drehte sich sinnlos um die eigene Achse, auf der Suche nach – ja, nach was?
    Er fand es, ohne zu wissen, was er gesucht hatte.
    Und es geschah. Plötzlich, ohne Vorwarnung, war da ein weiterer Reiter, ein Reiter auf einem kleinen, gedrungenen Pferd, beinahe einem Pony. Er tauchte von der Seite auf, aus dem Nichts, in einer Wolke aus Schotter und Staub, und galoppierte schräg über den Hang auf sie zu, ein zweites Pferd dicht auf seinen Spuren.
    »Was –«, begann Christopher. Im nächsten Moment war der Reiter neben ihm, die Staubwolke hüllte ihn ein, der Schotter spritzte auf wie scharfe, harte Wassertropfen, und jemand befahl vom Rücken des Pferdes: »Steig auf.«
    Und da erkannte Christopher sie.
    Es war das Mädchen mit dem wirren Haar, Niya, und später hätte er schwören können, ihre Augen glühten auch im Dunkeln wie Kohlen, obwohl das natürlich Unsinn war.
    »Was – ich –«, stotterte Christopher. »Ich bin keiner von euch. Du ahnst nicht, wie wenig ich zu euch gehöre.«
    »Mir gleich«, erwiderte sie knapp. »Steig auf das verfluchte Pferd.«
    Christopher fühlte sich von Jumar auf den Rücken des reiterlosen Pferdes gezogen. Sie ließ seine Zügel los, die sie bis jetzt gehalten hatte, und Sekunden später jagten sie gemeinsam durch den Staub dahin, nein: Sie wurden gejagt. Christopher klammerte sich verzweifelt am Hals des Pferdes fest, Jumar hatte die Arme um seine Hüfte geschlungen, und als er sich einmal umsah, waren die Soldaten ganz nahe.
    Niya führte sie nicht hinauf in den Schatten der Steilwand, wo ihre Männer warteten, sondern parallel zur Steigung des Hanges. Christopher hörte die Hufe der Pferde ihrer Verfolger, er hörte sie etwas schreien, verstand aber nicht. Ein Schuss fiel, ohne sein Ziel zu treffen. Ein zweiter. Er duckte sich tiefer über den Hals des Pferdes.
    Und dann sah er, wie Niya sich mitten im Galopp umdrehte. Das Gewehr, das er zuvor über ihrer Schulter gesehen hatte, war ein Teil ihres Körpers, es verschmolz mit ihr, wurde zur Verlängerung ihres brennenden Blickes, und der Schuss, der sich daraus löste, traf sein Ziel. Christopher hörte das Wiehern, den Schrei, und seine Ohren drohten zu bersten. Ihre Bewegungen brannten sich in sein

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