Drachen-Mädchen
Familie von Lebewesen, die sich mit weit hehreren Gefilden befaßten als jene, die mit diesem Wort beschrieben wurden, so daß sie entsprechend heftig schockiert war.
Irene wurde immer wütender, zügelte jedoch ihr Mundwerk. Der Vogel wurde langsam müde, und es hatte keinen Zweck, ihm auf diese Weise zuzusetzen. Sie mußte das richtige Schloß bald finden, bevor der Vogel dahinwelkte, denn sie besaß keinen weiteren Flugsamen. Ach, welche Gefahren schlampige Vorbereitung doch in sich barg! Hätte sie gewußt, was geschehen würde…
Vielleicht war die schreckliche Vision auch zu spät gekommen. Hätte sie sie früher gehabt, bevor sie Schloß Roogna verlassen hatte, so hätte sie ein paar wirklich fürchterliche Samen mitgenommen! Doch eine Vision, die nicht pünktlich kam…
Aber derartige Klagen nützten jetzt auch nichts mehr, und Irene war eine praktisch denkende Frau. Sie lenkte den Vogel zurück, während ein neuer Verdacht sie befiel. Gewiß, dort, wo das letzte Schloß zu sehen gewesen war, hatte es gar keins gegeben, es war verblaßt, sobald sie es verlassen hatte. Die Illusion bewegte sich ständig von einer Stelle zur anderen, um stets vor ihr zu erscheinen und sie damit in die falsche Richtung zu lenken. Sie hatte sie überrascht, als sie plötzlich kehrtgemacht hatte, doch damit hatte sie nicht mehr erreicht, als sich über das Wesen der Illusion Klarheit zu verschaffen. Zuerst mußte sie sie loswerden, bevor sie das echte Schloß aufspüren konnte.
Doch wie ließ sich eine Illusion beiseite schaffen? Ebensogut hätte man etwas forttragen können, was gar nicht da war.
Irene konzentrierte sich. Das Nichtexistente ließ sich offensichtlich nicht auslöschen, also mußte man die Sache anders angehen. Es hatte auch keinen Zweck, die Illusion erst loszuwerden, nachdem sie sie erblickt hatte. Sie mußte vielmehr die neuen Illusionen daran hindern, sich zu entwickeln, damit sie das richtige Schloß fand.
Sie schnippte mit den Fingern. Was, wenn sie die Illusion im ganz wortwörtlichen Sinn aufhielt, indem sie sie an einer Stelle festnagelte, so daß sie nicht mehr umherwandern konnte?
Sie holte einen Samen aus ihrem Beutel und lenkte die erschöpfte Vogelpflanze auf das dritte Phantomschloß. Es befand sich noch immer an Ort und Stelle, weil sie sich in ihrem Gesichtsfeld aufhielt. Offenbar verharrte die Illusion stets an ihrem Platz, solange jemand sie anschaute; anders hätte sie auch kaum Wirkung zeigen können. Das mußte man sich einmal vorstellen – eine Illusion, die verschwand, noch während man sie anschaute! Die würde sehr schnell an Glaubwürdigkeit verlieren. »Wachse!« befahl sie dem Samen und schnippte ihn fort.
Der Samen landete hüpfend und wuchs in Windeseile zu einer schlanken Augenweide heran. Die Augen der Weide richteten sich auf das Schloß, weil solche Pflanzen stets alles mögliche zu beobachten pflegten. Nun würde das Illusionsschloß wochenlang beobachtet werden, bis die Weide alt und welk geworden war und ihr Augenlicht verlor.
Irene flog weiter. Wenn die Sache funktionierte, würde die Illusion wie festgenagelt bleiben, weil jemand sie betrachtete.
Kurz darauf kam die Enttäuschung: Vor ihr war ja schon wieder ein Schloß! Sie hatte zwar noch einen Augenweidensamen dabei, aber was nutzte es, ihn zu pflanzen, wenn ihre List nicht funktionierte? Die Paradiesvogelpflanze wurde immer matter und konnte kaum noch die Höhe halten. Sie war eher dazu geschaffen, schön zu sein als stark. Sie stürzte auf die Phantombrüstungen zu.
Bumms! Sie krachten gegen die Mauer. Der Vogel stürzte im Spiralflug in die Tiefe und verlor dabei weitere Federblätter. Irene konnte sich gerade noch aufrichten, um auf beiden Beinen zu landen. Diese Illusion hatte ja Zähne! Jetzt besaß sie keine Flugtierpflanze mehr und konnte nicht…
Sie hieb sich mit der Handfläche gegen die Stirn. Das war doch überhaupt keine Illusion! Das war das richtige Schloß! Ihre Erbsenlist hatte funktioniert!
Während sie um den Schloßgraben ging, fischte sie in ihrem Beutel nach einem Samen. Sie hatte das Schloß zwar trotz der Illusion gefunden, würde aber sicherlich noch…
Ein lautes, dröhnendes Krächzen: Eine riesige Gestalt erhob sich aus einer Nische in der Schloßmauer und breitete die Flügel aus, die das halbe Sonnenlicht verdunkelten. Es war ein wirklich monströser Vogel.
Irenes Finger umklammerten krampfhaft einen der Samen. Sie war so überrascht, daß sie zu keiner anderen Bewegung mehr
Weitere Kostenlose Bücher