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Drachen-Mädchen

Titel: Drachen-Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
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physischer Zusammenstoß gewesen, kein magischer. Aber auch das würde Zeit in Anspruch nehmen, die sie nicht hatte.
    Zwischen der Mauer und dem Schloßgraben wuchs natürliches Gras. Vielleicht war das ja immun gegen den Umkehrzauber. »Wachse!« sagte sie ihm.
    Das Gras verschwand welkend in der Erde. Das war’s dann wohl. Ihr Talent funktionierte zwar, aber in die falsche Richtung.
    Was war denn dann mit dem Stinkhorn? Das hatte sie doch zum Wachsen gebracht! Nein – jetzt erblickte sie es: Es wuchs auf dem gegenüberliegenden Grabenufer, in einiger Entfernung von der Mauer.
    Schade, daß ihr Talent es ihr nicht erlaubte, Pflanzen auch schrumpfen zu lassen, denn dann könnte sie es damit versuchen, und das Holz würde ihren Zauber umkehren, so daß…
    Plötzlich leuchtete ein birnenförmiger Blitz in ihrem Kopf auf. Pflanzen schrumpfen? Das Umkehrholz stammte schließlich auch von einer Pflanze, nicht wahr? Wenn das Zeug noch lebte, was wahrscheinlich war, denn es besaß noch seine magische Kraft…
    »Wachse!« befahl sie dem Umkehrholz.
    Sofort schrumpfte das Holz zusammen, ihre Magie umkehrend. Die Gitterstäbe des Gerüsts wurden immer dünner, und das massive Tor tat es ihnen gleich und stürzte aus seiner Verankerung.
    Irene schob die kläglichen Reste beiseite und betrat das Schloß. »Geschieht dir recht, Holz«, sagte sie ungnädig. »Hättest dich eben nicht mit jemandem anlegen sollen, der vom Magierkaliber ist.« Ihr Mann hatte ihr mehr als einmal vorgeworfen, immer das letzte Wort zu haben; dieser Vorwurf war berechtigt, und sie genoß es in vollen Zügen. Kein Wort war so schön wie das letzte!
    Irene schritt die Eingangshalle entlang. Eine dichtverschleierte Frau kam auf sie zugeeilt. Es war die Gorgone, deren unverhüllter Blick jeden sofort zu Stein erstarren ließ. »Ach, Irene, ich bin ja so froh, daß Ihr es geschafft habt.«
    »Ach, dann wolltet Ihr also, daß ich hereinkomme?« fragte Irene.
    »Ihr wußtet, daß ich es bin? Warum habt Ihr dann nicht die Verteidigungsanlagen ausgeschaltet? Ich habe sie wahrscheinlich alle kaputtgemacht.«
    »Das konnte ich nicht, das kann nur Humfrey!«
    Irene war nicht in der Stimmung für Spielchen. »Und warum hat er es dann nicht getan? Wenn ich irgend etwas nicht wollte, dann war es, Zeit zu vergeuden!«
    »Ach, es ist furchtbar! Ich weiß nicht, was ich tun soll! Ich wünschte, ich könnte es ändern, aber ich kann es nicht!«
    »Was ändern?« fauchte Irene.
    »Ach ja, das könnt Ihr ja noch gar nicht wissen«, sagte die Gorgone geistesabwesend.
    »Was kann ich nicht wissen?« Die Sache war nicht nur ärgerlich, sie wurde auch langsam sonderbar, denn normalerweise war die Gorgone eine sehr vernünftige, beherrschte Frau.
    »Ich muß es Euch zeigen. Kommt mit ins Spielzimmer.«
    »Ins Spielzimmer? Hört mal, Gorgone, mein Kind…«
    »Meins auch.« Die Gorgone hatte sich bereits daran gemacht, die Treppe emporzusteigen. Irene folgte ihr frustriert.
    Das Spielzimmer war sehr hübsch, es besaß gepolsterte Wände und Böden und war voller bunter Spielzeuge. Mitten im Zimmer saß ein Säugling in Windeln und knabberte an einer Drachenpuppe. Er schien ungefähr ein Jahr alt zu sein.
    »Ich wußte gar nicht, daß Ihr noch ein zweites Kind habt«, bemerkte Irene überrascht.
    »Habe ich auch nicht«, erwiderte die Gorgone grimmig.
    »Aber das ist doch ganz offensichtlich Humfreys Sproß! Diese gnomartigen Züge…«
    »Das ist nicht mein Kind.«
    »Nicht…?« Irene spürte, wie ihr eine rebellische Röte sanft den Nacken emporstieg. Hatte Humfrey etwa mit einer anderen Frau ein Kind gezeugt und es seiner Frau übergeben, um es aufzuziehen? Dann war es wirklich kein Wunder, daß die Gorgone außer sich war! »Ich kann einfach nicht glauben…« Nicht einmal den Verdacht vermochte sie auszusprechen. »Humfrey ist viel zu brillant und ehrlich, um… deshalb bin auch hergekommen. Ich wollte ihn sehen und…«
    »Ihr habt ihn gesehen.«
    »Ich brauche seinen Rat!« platzte es aus Irene heraus. »Warum zeigt Ihr mir da sein Kind?« Dann biß sie sich auf die Zunge; das hatte sie doch gar nicht aussprechen wollen!
    Doch die Gorgone reagierte kaum. »Das ist nicht Humfreys Baby. Ich kann Euch versichern, er würde mich niemals hintergehen.«
    Nicht, wenn ihm seine Existenz als Wesen aus Fleisch und Blut anstatt aus Stein lieb ist! War es etwa das, was passiert war? Nein, das konnte doch nicht sein!
    Irene furchte die Stirn. Das überstieg ihr Fassungsvermögen.

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