Drachenblut
Freak ertappte sich bei dem Gedanken, dass er vier oder fünf seiner Mitarbeiter von der Gehaltsliste streichen konnte. Das war ihm nicht unangenehm war, weil er seine Mittel in Anbetracht des Desasters ohnehin verstärkt in die Grundlagenforschung stecken musste. Weit mehr als der Verlust an Menschenleben aber wog für ihn der Verlust des Prototypen, dessen Konstruktion offensichtlich noch nicht ganz ausgereift war.
So begab sich Dr. Freak in sein Privatgemach, warf sich schluchzend auf das Bett, vergrub sein Gesicht in der Bettdecke und weinte wie ein kleines Kind, dem man sein liebstes Spielzeug weggenommen hatte. Er wollte jetzt einfach nur alleine sein, alleine mit seinem Schicksal, das es wieder einmal nicht gut mit ihm gemeint hatte. Wenn er doch nur eine Möglichkeit gehabt hätte, sein Geschöpf zu stoppen! Früher, so erinnerte er sich schwermütig, war alles viel einfacher gewesen. Der Kampf mit den Tücken der Technik war noch lange nicht so herausfordernd gewesen, wie dies heutzutage der Fall war. Damals war das elektronische Zeitalter noch nicht angebrochen, hatte der technische Overkill noch nicht an die Türe der Zivilisation geklopft, bevor er die Menschen mit einem Streich überrannte und zu unbedeutenden Statisten an den Steuerkonsolen der Elektronengehirne herabwürdigte und, das war das eigentlich Bemerkenswerte, den Menschen dabei noch das Gefühl zu geben wusste, sie hätten alles unter Kontrolle.
Schwermütig erhob sich Dr. Freak von seinem Bett und ging zu einer aufklappbaren Vitrine, welche die Hausbar beherbergte. Als er die Türen des antiquarischen Möbelstückes öffnete, kamen allerdings nicht die erwarteten hochprozentigen Alkoholika zum Vorschein. Fein säuberlich hatte Dr. Freak Dutzende von Insektenvertilgungsmitteln zum schnellen und jederzeitigen Zugriff nebeneinander aufgereiht. Da gab es das bekannte HYDROLUCANUS-EX, ein beliebtes Insektenspray, im Volksmund auch »BUGGY« genannt, das die Atemwege der Insekten verschloss und daher sehr wirksam war. Ebenfalls von durchschlagender Wirkung war TERMINI TARANTUL, eine stark toxische Flüssigkeit, die weniger durch die wohlklingenden Bezeichnung zu gefallen vermochte, sondern durch den signalgelben Totenkopf und die dazugehörigen gekreuzten Knochen, die das Etikett der Flasche zierten. Gerne verwendete Dr. Freak auch ARANEUS DILEMMATUS, dieses Kontaktgift setzte sich an den Beinen und Fühlern der Insekten fest, wurde von Tier zu Tier übertragen und infizierte so nicht nur das Wirtstier, sondern gleich ganze Kolonien der Gattung.
Nicht weit neben dem ARANEUS DILEMMATUS stand eine unauffällige Spraydose mit ordinärer Möbelpolitur. Diese Markenpolitur diente nun nicht etwa der Pflege der antiken Vitrine, sondern wurde ebenfalls im Kampf gegen das Ungeziefer eingesetzt. Schon in seiner frühen Jugend hatte Dr. Freak festgestellt, dass sich die Politur vorzüglich dazu eignete, Spinnen und Käfer aus unmittelbarer Distanz einzusprühen und mit einem klebrigen Film zu überziehen, der bei den betroffenen Insekten zu eigenartigen Reaktionen führte. Die Körper der Spinnen und Käfer wiesen schon bald nach der Behandlung stark wässernde Pusteln und Bläschen auf. Nach kurzer Flucht verloren die Tiere die Orientierung, krabbelten hilflos in Kreise umher, hüpften zuweilen auf der Stelle einige wenige Zentimeter in die Höhe und verendeten schließlich, wobei sie ihre langen Beine unter dem Leib zusammenkrümmten und in dieser Position aussahen wie die Greifarme der stählernen Kräne, die am Hafen die großen Dampfer aus Übersee entluden und die Dr. Freak als Junge ehrfürchtig bestaunt hatte. Die Möbelpolitur war also nicht zuletzt aufgrund ihres Unterhaltungswertes Dr. Freaks Geheimtipp und leider, wie viele der heutigen Insektenarten, vom Aussterben bedroht, da der Hersteller die Produktion hatte einstellen müssen, nachdem gewisse gesundheitliche Risiken bei der Verwendung des Mittels bekannt geworden waren.
Gedankenversunken wiegte Dr. Freak die Möbelpolitur in seiner knöchrigen Hand. Er hätte sich gewünscht, seinen Prototypen mit den guten alten Hausmitteln aufhalten zu können. Ein kurzer Druck auf den Sprühkopf der Dose, und die Sache wäre erledigt gewesen. Aber die moderne Technik widersetzte sich den traditionellen Methoden der Schädlingsbekämpfung, und einmal mehr setzte sich bei Dr. Freak die Erkenntnis durch, zu anderen Mitteln greifen zu müssen, um die Welt in die Knie zu
Weitere Kostenlose Bücher