Drachenblut
nenne diesen Moment den artistischen Big Bang , den schöpferischen Urknall im Gehirn des Künstlers.«
Endlich, das war das Stichwort für die beleibte Dame. »Ach, Sie waren in London? Haben Sie auch den Tower besichtigt? Mein Mann und ich fahren jedes Jahr …«
Arthur überging diesen unqualifizierten Beitrag und versuchte, seine Verehrerin einfach zu ignorieren. »Wer diese spontan auftretenden Kräfte zu kontrollieren versucht, der manipuliert das Ergebnis und verkennt die eigenen Bedürfnisse bei der Gestaltung seines Kunstwerkes. Wer nachdenkt, der verfälscht. Wer zögert, der vernichtet.«
»Da haben Sie sicherlich recht.« Die Dame versuchte es jetzt mit einigen allgemein gehaltenen Floskeln, die man jederzeit in eine Diskussion werfen konnte, ohne wissen zu müssen, worum es eigentlich ging. »Ja, ja, die Kunst …«
Es war Arthur verhasst, wenn seine Gedanken mittels irgendwelcher Zwischenfragen aus dem Zusammenhang gerissen wurden. Er fuhr daher mit gesteigerter Vehemenz fort, seine Argumentation ungestört voranzubringen. »Ich behaupte, die Kunst als ästhetischer Wert existiert bereits, bevor dieser in der Form eines Kunstwerkes seinen Ausdruck gefunden hat!«
»Lieber Kollege, sie wollen doch wohl nicht den abstinenten Künstler propagieren, der seine Daseinsberechtigung in jenem Augenblick verwirkt, in dem er Materie berührt«, wandte der Kritiker ein. »Wie wollen Sie über Kunst sprechen, diese gar bewerten, wenn sie noch nicht einmal konkret geschaffen wurde, sozusagen nur als Modell im Gehirn des Künstlers existiert?«
Missbilligend nahm Arthur zur Kenntnis, dass ihn der Kritiker als Kollegen bezeichnete. Diese Anmaßung durfte nicht ungestraft bleiben. Er zwang sich zur Ruhe und machte die Hoffnungen des Kritikers auf ein baldiges Ende der Debatte zunichte. »Das Gehirn funktioniert entsprechend meiner Theorie des artistischen Urknalls als Teilchenbeschleuniger. Und diese Partikel wirken gestalterisch auf die Materie ein. Die Hände oder das Werkzeug des Künstlers haben lediglich die Aufgabe, den räumlichen Kontakt zwischen Künstler und Kunstwerk herzustellen. Kein Künstler wird ohne diese Partikel, nur durch bloßes Handanlegen, etwas Bedeutendes erschaffen. Ohne das Gehirn, ohne dessen Beschleunigung und Projektion der Teilchen, erhält das Kunstwerk keinen Sinn.«
Der Kritiker wagte an dieser Stelle einen Einwand, und er versuchte seinen Gesprächspartner, der ihn mit seinen abstrusen Theorien zu überfordern begann, mit einer gezielten Zwischenfrage aus dem Konzept zu bringen. »Das hört sich alles recht interessant an, mein Lieber. Aber wie definieren Sie nun die Kunst? Ist es das Schaffen oder erst das Ergebnis, das diese Kreativität dokumentiert?«
Hin und wieder blieben interessierte Gäste stehen und gesellten sich zum Zirkel. Die Dame rückte beiläufig näher an Arthur und den Kritiker heran und ließ ihren Blick über die Menge schweifen. Irgendwo musste doch der Pressefotograf verblieben sein, der eben noch so neugierig herumgeschlichen war. Es wäre ihr nicht unangenehm gewesen, zusammen mit der Prominenz (damit meinte sie natürlich den Kritiker, nicht den Künstler) in der Montagsausgabe zu erscheinen.
»Ich dachte eigentlich, ich hätte mich deutlich genug ausgedrückt.« Arthur nahm die Gelegenheit dankbar wahr, den Kritiker mit kleinen Sticheleien zu provozieren.
»Nun, ich bin ja wohl kaum der Einzige, der ihre Ausführungen, nun ja, gewöhnungsbedürftig findet.« Der Kritiker schaute in die ihn umgebende Runde und hoffte auf Unterstützung.
Als die Umstehenden erkannten, dass sie angesprochen waren, hoben alle wie auf Kommando die Gläser an den Mund, schlürften an ihren Cocktails und gaben damit ihre Unwilligkeit zum Ausdruck, dem Kritiker beizustehen, auch wenn sie mit ihm völlig einer Meinung waren.
Ihr feigen Hunde, dachte der Kritiker und wandte sich wieder seinem Gegner zu. Die Diskussion begann ihn zu ermüden. Eigentlich war er ja zum Vergnügen hier, doch im Moment schien die Party an anderer Stelle stattzufinden.
»Also, wo waren wir stehen geblieben?« Der Kritiker sortierte seine Gedanken und startete einen letzten Angriff. »Der wahre Künstler könnte nach ihrer Theorie des artistischen Urknalls niemals dauerhaft Bedeutendes schaffen, weil die Bedeutung im flüchtigen Schaffen selbst liegt.«
»Sie haben es beinahe erfasst! Die
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