Drachenblut
verbliebenen Reste der explosiven Ladung. Geistesgegenwärtig schlug Fred mit der flachen Hand auf den Brandherd, um das Feuer zu ersticken. Dabei übersah er allerdings die Glassplitter, die noch vom Weinglas übrig waren und die jetzt auf dem Tisch verstreut lagen. Damit war er ein Fall für den Sanitätsdienst. Schwester Franklin kümmerte sich sogleich aufopfernd um den Patienten, den die Bürgerwehr bei ihr ablieferte.
Stanley kam die kurzzeitige Abwesenheit einiger seiner Mitstreiter nicht ungelegen, zumal sich die Gelegenheit bot, einen kräftigen Schluck auf die baldige Genesung des Kameraden zu trinken. Mit einer ausholenden Bewegung stieß er seinen rechten Arm in die Luft und schleuderte so einen Piccolo aus dem Ärmel seines Mantels. Da staunten die Anwesenden nicht schlecht, als er das Fläschchen ganz locker aus der Luft fischte. Das ging so schnell, dass keiner so recht wusste, woher der Piccolo eigentlich gekommen war. Mit wenigen Handgriffen war das Fläschchen geöffnet, und Stanley hatte den Inhalt schon zur Hälfte geleert, als sich der Korken noch immer auf dem Weg zur Saaldecke befand. Genüsslich schnalzte Stanley mit der Zunge und versuchte damit, den Knall des Sektkorkens zu imitieren, den er im Grunde doch für unnachahmbar hielt.
»Das ist ein spritziger Knall, was?« Begeistert stupste er Haddock mit dem Ellenbogen in die Seite. »Da ist Musik dahinter! Da kann dein albernes Feuerwerk nicht mithalten.«
Haddock konnte nicht einsehen, worin das Großartige am Knall eines Sektkorkens sein sollte. Aber das wollte er nicht mit Stanley ausdiskutieren, der stets bereit war, über dieses und ähnlich wichtige Themen zu dozieren.
»Ich wette, dass ich sogar den Jahrgang von Champagner am Knall des Korkens erkennen kann.« Stanley ließ nicht locker. Leider schlug darauf niemand ein. Nicht etwa, weil die Wette zu absurd war, sondern weil ihm dies durchaus alle zutrauen mochten.
Die eigentliche Attraktion des Presseballs war wie immer jener Kritiker, der für eine »bekannte Tageszeitung« schrieb. Das konnte der STAR sein oder auch die POST, das hing davon ab wen man fragte. In jedem Falle wurde er von den interessierten Kreisen beachtet und hofiert. Seine Position ergab sich aus der Macht, die er als Verfasser des Feuilletons innehatte. Er bestimmte über das Ansehen und den Ruf der Künstler. Er beurteilte deren Werke und bestimmte damit auch den gesellschaftlichen Rang derjenigen, die sich mit den jeweiligen Künstlern im öffentlichen Leben umgaben oder, sofern ihnen dies nicht gelang, deren Werke mit dem Ziel erwarben, wenigstens materiell mit dem Künstler verbunden zu sein.
Der Theaterintendant hatte den Kritiker sogleich erspäht und stellte ihm unaufgefordert die weiblichen Mitglieder seines Ensembles vor.
»Schnell, schnell, meine Täubchen, kommt alle her!« Der Intendant klatschte in die Hände und versammelte die Aktricen um sich. »Seid artig, ich will euch dem Herrn Kritiker einmal vorstellen. Nein, nein, du nicht Gerhard. Du hast doch bestimmt noch hinter der Bühne zu tun.«
Die Schauspielerinnen knicksten artig, schüttelten dem Herrn die Hand und ließen das Zeremoniell geduldig über sich ergehen, obwohl sie sich viel lieber nach den wenigen jungen Männern umgesehen hätten, die heute Abend in der Stadthalle zugegen waren.
Plötzlich penetrierte ein Geräusch wie von einer Sirene die Luft. »Du meine Güte, wen haben wir denn da?«
Die Gräfin steuerte auf die versteinerte Truppe zu. »Sie gestatten doch!« Damit packte sie den Kritiker am Frack und entführte ihn vor den Augen des Intendanten. »Kommen Sie mit, ich muss Sie unbedingt meinen Freundinnen vorstellen.«
Dem Kritiker war es unmöglich, sich gegen die Gräfin zu wehren. Das war auch nicht ratsam, galt sie doch als besonders resolute Dame, die ihren Kopf immer durchzusetzen wusste.
»Seht einmal her, wen ich hier entdeckt habe!«
Eine unbestimmte Anzahl künstlicher Wimpern, Zahnprothesen und Perücken richtete ihre Aufmerksamkeit auf die Gräfin, die den Kritiker in die Mitte des Zirkels stieß.
»Wisst ihr noch? Dieser Herr entdeckte damals mein Talent als Sopranistin! Du meine Güte, wie lange doch alles schon her ist, nicht wahr?«
Zum Leidwesen des Kritikers gab die Gräfin sogleich eine Kostprobe ihres Könnens. »Der Sommerwind, der Sommerwind, der spielt sein Lied mir vor!«
Den
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