Drachenblut
gut?«
»Wie bitte? Nein, nein, es geht mir prima.« Dr. Freak versuchte, die vom Speichel durchfeuchteten und miteinander verklebten Unterlagen auf seinem Schreibtisch zu ordnen. »Ich muss wohl für einen Moment … Die Arbeit der letzten Tage war wohl zu anstrengend für mich. Wenn Sie mich jetzt wieder alleine lassen würden, vielen Dank.«
Die Assistentin ging und bedauerte, den Doktor nicht noch länger heimlich beobachtet zu haben, bevor sie ihn aus seiner Selbstvergessenheit gerissen hatte. Ein solches Schauspiel bekam man ja schließlich nicht jeden Tag geboten.
20
Heute war es einmal wieder so weit, heute wollte der liebe Gott ganz gemein sein. Schon früh am Morgen schwang er sich aus dem Bett und begab sich ins Badezimmer, wo er sich vor den Spiegel stellte und sein Ebenbild betrachtete. Eine unrasierte Gestalt starrte aus dem Spiegel zurück. Das Kopfkissen hatte deutliche Spuren auf den eingefallenen Wangen hinterlassen, und die Haare standen wirr vom Kopf ab. Der Anblick bot kaum Anlass zur Freude und hätte einem heimlichen Beobachter Gelegenheit gegeben, hinter die Fassade zu blicken. Nur gut, dass sein Name dafür sorgte, dass er nicht in Frage gestellt wurde und das war gut so.
Gott fuhr mit der Zunge über die pelzigen Zähne und verzog dann das Gesicht zu einer Grimasse. Nein, das war noch nichts. Nacheinander probierte er verschiedene Fratzen aus, bis er sich für ein furchtbares Antlitz entschieden hatte. Die Menschen sollten ihn heute von seiner unangenehmen Seite kennenlernen, in letzter Zeit war er viel zu gütig gewesen. Aber damit war jetzt genug. Gott schnappte sich seinen Mantel und ging hinaus, um sich in der Stadt ein wenig umzusehen.
Zuerst nahm Gott einem kleinen Mädchen den Lutscher weg und zertrat das Zuckerwerk auf dem Bürgersteig, wo sich alsbald eine Horde roter Wanderameisen über die klebrigen Reste hermachte. Tapfer versuchte das kleine Mädchen, wenigstens Teile ihres Lutschers vor dem Abtransport zu retten, aber die Übermacht war einfach zu groß.
Dann ging Gott bei Rot über die Straße. Ein Auto musste scharf bremsen, der nachfolgende Lastwagen erkannte die Situation zu spät und knallte seinem Vordermann in den Kofferraum. Ein Jammer um den schönen Wagen, ein Liebhaberstück aus den 50er Jahren, für das kaum noch Ersatzteile zu erhalten waren. Das wusste natürlich auch der Besitzer des Oldtimers, und als er das ganze Ausmaß des Schadens erkannt hatte, war es um seine Beherrschung geschehen. Die folgende Rauferei bot den beiden Unfallbeteiligten die einmalige Gelegenheit, ihre körperlichen Kräfte aneinander zu messen.
Als Gott seinen Weg fortsetzte, stand das kleine Mädchen noch immer fassungslos vor den Resten ihres Lutschers, der gerade Stück für Stück im angrenzenden Gestrüpp verschwand. Dicke Tränen kullerten ihr aus den Augen, und sie rieb sich ihre Hand, die von zahlreichen Ameisenbissen angeschwollen war. Das Mädchen war ganz alleine, niemand war bei ihr, der sie trösten und beschützend hätte in den Arm nehmen können. Da weinte sie, als würde ihr das Herz zerspringen.
Unterwegs schaute Gott noch im Krankenhaus vorbei. Auf der Intensivstation gab es immer etwas zu tun. Nach einem Kurzschluss in der Herz-Lungenmaschine schied eine alte Frau just in dem Augenblick aus dem Leben, in dem sie ihren nächsten Angehörigen über den Verbleib des Sparbüchleins berichten wollte. Es bedurfte der vereinten Bemühungen zweier Assistenzärzte und einer blonden Krankenschwester, um die aufgebrachte Verwandtschaft wieder vom Krankenbett zu ziehen.
Als nächstes stand ein Besuch in der Fabrik an. Ein Arbeitsunfall sorgte dort schon bald für helle Aufregung. Der Vorarbeiter hatte sich in einer stillen Ecke ein Bierchen genehmigen wollen. Als er einen kräftigen Schluck aus der Flasche nahm, fiel ihm der Schutzhelm nach hinten vom Kopf und landete auf dem Kontrollpult, das die komplizierten Bewegungen des Montageroboters steuerte. Der Greifarm des Roboters schwenkte prompt herum, packte das Handgelenk des verdutzten Vorarbeiters, zerrte, drehte, bog mit aller Kraft und brachte den Arm des Unglücklichen in eine Position, in der üblicherweise die entsprechenden Werkstücke den Produktionsbereich als Winkelbleche verließen. Nur dem Umstand, dass die Maschine schlecht gewartet war und nicht mit voller Leistung zur Sache gehen konnte, war es zu verdanken, dass der Vorarbeiter mit
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