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Drachenei

Drachenei

Titel: Drachenei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert L. Forward
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widersprach Jacqueline. » Ein Pulsar ist ein sich drehender Neutronenstern, und ein Neutronenstern hat nur etwa zwanzig Kilometer Durchmesser. Auch wenn die Temperatur hoch ist, ist das lichtemittierende Gebiet so klein, dass wir den Stern nicht erkennen können, wenn wir nicht mit einem sehr starken Teleskop genau an der richtigen Stelle suchen. Aber du hast recht, es ist seltsam, dass er noch nicht entdeckt worden ist.«
    » Wenn uns der Pulsar so nahe ist, warum haben die Radioastronomen dann keine Pulse festgestellt?«
    » Neutronensterne geben ihre Radiation in Strahlen ab, die von den magnetischen Polen wegschießen«, erklärte Jacqueline, » und man muss sich in der Richtung des Strahls befinden, um den Puls zu empfangen. Darum kann ja die Sonde die Pulse sehen, wir aber nicht. Das Raumfahrzeug befindet sich 200 AE oberhalb der Ekliptik und ist in den Weg der Strahlen geraten.« Sie trat an die Tafel an der Wand ihres Büros, ergriff einen Farbstift und begann zu zeichnen und zu kritzeln.
    Donald verhielt sich still und wartete geduldig. Er bewunderte diese hübsche junge Frau, die so mühelos mit der komplizierten mathematischen Transformation eines Satzes astrophysikalischer Koordinaten in einen anderen fertigwurde. Fünf Minuten später – er bewunderte Jacqueline immer noch von hinten – drehte sie sich um.
    » Der Stern ist am nördlichen Himmel«, sagte sie. » Aber er ist nicht da, wo wir ihn vermutet haben. Da uns der Neutronenstern so nahe ist, beträgt der Unterschied zwischen dem Winkel vom Raumfahrzeug zum Stern und dem Winkel von der Erde zum Stern mehr als fünf Grad. Kein Wunder, dass die Radioastronomen ihn nicht finden konnten. Wir haben ihnen die falsche Richtung angegeben.«
    Sie trat vor eine Sternenkarte an der Wand und zeichnete sorgfältig ein winziges Kreuz ein. Lächelnd bemerkte sie: » Und der Grund, warum er nicht entdeckt wurde, ist, dass er sich gleich neben Giansdar, dem Stern vierter Größe am Ende des Sternbilds des Drachen, befindet. Es ist ein gutes Teleskop nötig, um den Neutronenstern in diesem hellen Schein zu erkennen.«
    Sie stürzte den Rest ihres Kaffees hinunter.
    » Los, wecken wir das alte Knautschgesicht auf«, sagte sie. » Es geht um die Veröffentlichung einer Entdeckung.«
    Zeit: Freitag, 22. Mai 2020
    Innerhalb von zwei Tagen war die Veröffentlichung vorbereitet und vom Computer der Astrophysical Letters angenommen. Am nächsten Tag war sie im astrophysikalischen Informationsnetz, zusammen mit einer Notiz der Radioastronomen, dass aus einem Gebiet am nördlichen Himmel, am Ende des Draco sehr schwache 199-Millisekunden-Pulsationen entdeckt worden seien. Kurz darauf fand das neue Zehn-Meter-Teleskop in China einen schwachen Fleck, und Bilder mit der Unterschrift » Das Ei des Drachen – Sols nächster Nachbar« erschienen in Sinica Astrophysica. Die Tagespresse übernahm das Bild zusammen mit dem anschaulichen chinesischen Namen. Bald blickten Leute zum nächtlichen Himmel empor und versuchten vergeblich, das » Drachenei« zu erkennen, das sich gleich unterhalb des Sternbilds Draco befand, als sei der Stern ein frisch gelegtes Ei.
    Zeit: Samstag, 13. Juni 2020
    Es war Samstagabend. Donald und Jacqueline saßen auf dem Rasen des Griffith-Observatoriums und unterhielten sich. Seit Monaten hatten sie sich nicht mehr so entspannt gefühlt. Jacquelines Dissertation war fertig, und die mündliche Prüfung, die am Tag zuvor stattgefunden hatte, war eine reine Formalität gewesen. Schließlich hatte sie eine Entdeckung gemacht, die weltweit wissenschaftliche Anerkennung fand und über die in den Nachrichten berichtet wurde.
    » Ich sehe einfach nicht ein, warum Sawlinski in den Nachrichten interviewt wird«, bemerkte Donald mit einem Stirnrunzeln. » Du hast den Neutronenstern als Erste entdeckt, nicht er.«
    » So geht es nun einmal in der Wissenschaft zu«, entgegnete Jacqueline. » Ein Professor beginnt ein Forschungsprojekt in der Hoffnung, etwas Neues zu entdecken. Manchmal macht der Student die Entdeckung, aber ohne das Projekt des Professors wäre es ihm nicht möglich gewesen. Da der Professor seinen Kopf hinhalten muss, wenn sich das Projekt als Misserfolg erweist, steht ihm bei einem Erfolg auch der Ruhm zu. Außerdem regt mich das gar nicht auf – schließlich hat es mir einen guten Start für meine Karriere eingetragen.«
    Donald empfand nur noch größere Bewunderung für die Frau, die er so lieb gewonnen hatte. Er blickte still zu den Sternen

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