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Drachenelfen - Die gefesselte Göttin (German Edition)

Drachenelfen - Die gefesselte Göttin (German Edition)

Titel: Drachenelfen - Die gefesselte Göttin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Hennen
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gesenktem Blick huschten sie durchs Zimmer und stellten die Lampen in Wandnischen. Den Tisch mit dem blutigen Seidenfetzen mieden sie. So schnell, wie sie gekommen waren, verschwanden sie auch wieder. Kein Laut drang vom Hof zu ihnen hinauf. Das Haus der Seidenen lag still, als lausche es darauf, was in diesem Zimmer geschehen würde.
    »Nun, bist du gar nicht neugierig, was für ein Geschenk ich dir bringen ließ? Ich könnte ein zweites, größeres holen lassen, falls dir dieses nicht zusagt.«
    Zarah sah ihn entsetzt an. »Du würdest einen abgetrennten Kopf bringen lassen?«
    »Nicht irgendeinen«, entgegnete er ruhig. »Und nun sieh dir an, was dort liegt, wenn du größeres Unheil vermeiden willst. Los, auch meine Geduld kennt Grenzen.«
    Ihr Gesicht war ausdruckslos, doch ihre Augen hatten ihren Glanz verloren. Er würde sie brechen – es war schon fast vollbracht. Und wenn von ihrem Stolz und ihrer Arroganz nichts mehr geblieben war, dann würde er sie zu einem Geschöpf machen, das ihm ganz und gar zu Willen war.
    Zarah nahm den Seidenlumpen und wickelte aus, was darin verborgen war. Sie hielt einen abgetrennten Finger in der Hand, auf dem ein schmaler Bronzering steckte, in den ein kleiner, grüner Stein eingefasst war.
    Kolja glaubte, sie eine Spur blasser werden zu sehen.
    »Wo ist Joram?«, flüsterte sie.
    »Der Nasenlose hat also einen Namen. Nun ja, er war nicht sonderlich gut untergebracht. Jetzt hat er ein schöneres Zimmer und wird nie mehr allein sein.«
    »Was hast du mit ihm gemacht, du Ungeheuer?« Zarah hielt noch immer den abgetrennten Finger in Händen. Sie strich zärtlich über den Ring.
    »Ich stelle hier die Fragen. Und wenn ich keine Antworten erhalte …« Er zuckte mit den Schultern. »Es macht mir auch keine Freude, dem Kerl irgendetwas abschneiden zu lassen. Eine Nase hat er ja schon nicht mehr. Soll ich dir vielleicht ein Ohr bringen lassen? Oder seine Zunge? Braucht er die Zunge noch? Kann er noch reden?«
    »Er ist mein Bruder. Wie geht es ihm? Ich will ihn sehen. Jetzt, sofort!«
    »Dein Bruder?« Kolja nickte. »Wenn man einen Finger verliert, geht es einem nie ganz gut. Andererseits, es hätte ihn auch schlimmer erwischen können. Und sehen willst du ihn? Schau dir den Finger an. Mehr als eine teilweise Familienzusammenführung wird es nicht geben. Wünschst du, noch andere Teile zu sehen?«
    Zarah wich vor ihm zurück. Sie hielt die Hände vor die Brust gepresst. Angst stand ihr nicht gut. Vielleicht war es doch kein so guter Einfall, sie zu brechen. Was, wenn sie für immer den Zauber verlor, den die Statthalter und Mächtigen so unwiderstehlich fanden? Er sollte es etwas weniger hart mit ihr angehen. Ihre Hoffnung nähren, dass sie auch ihn beeinflussen konnte.
    »Du bist eine ungewöhnliche Frau. Ich hätte erwartet, dass du in Tränen ausbrichst oder zu schreien anfängst. Du aber bist sehr beherrscht. Erzähl mir von deinem Bruder. Was ist mit ihm geschehen?«
    »Er hat mich hierhergebracht … ich war acht. Er war dreizehn.« Ihr Blick war nach innen gekehrt, als könne sie zurück in die Vergangenheit blicken. »Unsere Eltern waren Bauern. Die schlimmste Zeit für Bauern ist der Frühling. Dann, wenn die Wintervorräte aufgebraucht sind und die Natur uns noch kein neues Grün schenkt. Hast du einmal ein Bauerndorf gesehen, in dem der Hunger umgeht? Wo die Menschen bis zum Skelett abgemagert sind?«, Zarah stockte kurz, dann schien der Damm endgültig gebrochen, und die Worte sprudelten nur so aus ihr heraus. »Ich hatte noch eine kleine Schwester. Sie ist in jenem Winter gestorben. Meine Mutter folgte ihr bald. Sie hat sich einfach hingelegt, neben die kalte Feuerstelle, und ist nie wieder aufgestanden. Wir Lebenden hatten nicht einmal mehr die Kraft, die Toten zu begraben. Am Tag danach kamen Werber, die Bauern für Nangog suchten. Meinen Bruder haben sie genommen, meinen Vater nicht. Sie gaben Joram zu essen, damit er genug Kraft hatte, mit ihnen zu gehen. Sie waren ein Zug ausgemergelter Gestalten. Alle jung. Joram hat mir die Haare abgeschnitten und behauptet, ich sei ein Junge. Er konnte das Blaue vom Himmel herunter lügen.« Sie hielt erneut kurz inne und wickelte das Seidentuch um den abgetrennten Finger. »Mein Vater war zu alt und kraftlos für Nangog, doch er hat uns zugeredet, dass wir gehen sollten. Ich habe ihn nie wieder gesehen.
    Wir kamen nach Nangog und wurden an einen großen Gutshof zwei Tagesreisen von hier verkauft. Sklaven waren wir nicht!

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