Drachenelfen - Die gefesselte Göttin (German Edition)
habe dir gesagt, Joram war ein guter Lügner. Das ist nur die halbe Wahrheit. Ich war nur allzu bereit, all seine Lügen zu glauben. Dass er Diener im Haus eines reichen Kaufmanns geworden war, hinterfragte ich auch dann nicht, wenn er mit Schürfwunden und blutenden Schwielen an den Händen zurückkam. Er wusch sich, bevor er mich abends auf dem Platz der tausend Zungen abholte. Dennoch habe ich manchmal den Steinstaub in seinen Haaren gesehen. Doch statt meinen Verstand zu benutzen, fragte ich ihn, wann er mich endlich einmal mitnehmen würde in das Haus seines reichen Kaufmanns oder an Bord eines der Himmelsschiffe, die die Schätze Nangogs unter den Wolken tragen.« Zarah schwieg eine Weile, in Gedanken versunken. »Es war eine glückliche Zeit, und ich begann zu glauben, dass die neue Welt auch uns beschenken würde. Andere Übersetzer auf dem Platz der tausend Zungen wurden auf mein Talent aufmerksam und wollten mich dem Alten abkaufen. Meister Bono war ein Valesier aus Truria. Ergraut, aber stets glatt rasiert und mit einer Spur von Duftwasser auf seinen Kleidern, machte er einen durch und durch ehrenwerten Eindruck. Um mich von dummen Gedanken abzuhalten, gab er mir nun hin und wieder eine Kupfermünze, wenn ich meine Arbeit gut gemacht hatte. Ich fühlte mich reich. Aber dann verließ uns das Glück. In der Regenzeit wird die Arbeit in den Stollen und in den tausend Kanälen, geheimen Tunneln und tiefen Kellern, die unter der Stadt verborgen liegen, noch gefährlicher. Der Fels saugt das Wasser auf wie ein Schwamm. Höhlen werden überflutet, Rinnsale in den Abwasserkanälen verwandeln sich in reißende Fluten. Die Regenzeit währte schon einen Mond, als sie Joram eines Abends auf den Platz trugen. Er war in ein Segeltuch gehüllt, aus dem das Blut tropfte. Mein Bruder hatte ein kleines Bleitäfelchen bei sich getragen, auf dem der Name Meister Bonos eingeritzt war und dass dieser auf dem Platz der tausend Zungen zu finden sei.
Sie hatten ihn kaum auf den Boden abgelegt, als Bono vor mich trat. Er hinderte mich daran, das Tuch zurückzuziehen. Mit wenigen Worten machte er mir klar, dass er sich nicht um einen kranken Mann kümmern würde und dass er nicht genug verdiente, um aus Barmherzigkeit einen unnützen Esser durchzufüttern, es sei denn, er sei ein Mitglied der Familie. Ich war vierzehn, aber ich begriff sofort, was er meinte. Und ich stimmte zu. Noch in dieser Nacht wurde ich seine Frau.«
Kolja nahm sich einige der Trauben aus der flachen Schale auf dem Tisch. Sie waren süß, lange in der Sonne gereift. Zarah sah ihn an. Ihr Blick war ruhig. Sie schien sich nicht zwingen zu müssen, sein entstelltes Antlitz anzusehen. Kein Wunder, so wie Joram aussah. Allerdings vertraute Kolja ihrer Geschichte nicht. In seinem Leben hatte er wahrscheinlich schon mehr als hundert Huren besucht. Die meisten von ihnen hatten eine rührselige Geschichte zu verkaufen.
»Erst als ich Bono feierlich und in Anwesenheit von drei Zeugen das Eheversprechen gegeben hatte, durfte ich das Tuch zur Seite schlagen. Ich erkannte Joram nur noch an dem kleinen Ring, den ich ihm von meinem mageren Lohn gekauft hatte. Das Gesicht meines Bruders sah schrecklich aus. Seine Schneidezähne waren ausgeschlagen, seine Nase zerschmettert und nur noch ein blutiger Klumpen. Er war nicht bei Bewusstsein. Bono beharrte darauf, dass wir unser Eheversprechen besiegeln, bevor er einen Heiler holen ließ. Und obwohl Joram am Rand des Todes stand, wollte er seinen Stand nicht früher als an irgendeinem anderen Tag schließen. Aber er erlaubte mir, Joram in sein Haus tragen zu lassen und dort alles für die Festnacht vorzubereiten.
Bono bewohnte drei lichtlose Zimmer in einem schmutzigen, großen Haus nahe dem Platz der tausend Zungen. Mit dem Geld, das er verdiente, hätte er sich eine viel bessere Unterkunft leisten können. Damals hielt ich ihn einfach nur für geizig. Ich holte Wasser aus dem nahen Brunnen und säuberte die Wunden meines Bruders. Es wurde spät, bis Bono kam. Ich verstand in jenen Tagen wenig von Männern. Er hatte unterwegs bereits angefangen, unsere Hochzeitsnacht zu feiern und getrunken. Er war ein alter Mann und ich ahnungslos. Die Nacht verlief nicht, wie er erwartete hatte. Er redete mir ein, es sei meine Schuld, und ich glaubte ihm. Joram bekam keine Hilfe, sosehr ich bettelte und flehte. Mein Hochzeitsgeschenk waren Prügel. Mein Gesicht war grün und blau geschlagen. Vielleicht war es ihm peinlich.
In den nächsten
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