Drachenelfen - Die gefesselte Göttin (German Edition)
geben. Er sah Nodons Anspannung und entschied sich, den scharfen Sinnen des erfahrenen Schwertkämpfers zu vertrauen. Er legte die Hand auf den Griff seiner Waffe.
»Gehen wir hinein«, entschied Nandalee, nahm den Bogen von der Schulter und zog die Sehne auf.
Gonvalon war als Erster beim Tor. Er rammte es mit der Schulter auf. Hinter ihm stand Nandalee und sicherte ihn mit einem Pfeil auf der Sehne.
Im Durchgang des Torhauses kauerte ein alter Mann, der erschrocken die Arme hochriss. »Tut mir nichts! Bitte, tut mir nichts! Ich hab damit nichts zu tun. Ich …« Als er erkannte, wer sie waren, warf er sich zu Boden und verbarg mit den Händen schützend seinen Kopf.
Nandalee trat zur Seite und sicherte mit halb gespanntem Bogen den Innenhof. Ihr Blick wanderte über die umlaufende Galerie, an der die Türen zur ersten Etage lagen. Der Hof war wie ausgestoben. Nur in seiner Mitte lag lang hingestreckt eine rote Gestalt.
Gonvalon brauchte einen Herzschlag, um zu begreifen, was er da sah, so fremd war es ihm: Vor ihm lag eine gehäutete Frau! Ihr ganzer Leib war nacktes, rotes Fleisch, überzogen von einem Netzwerk von Adern.
»Bei den Alben«, stammelte Eleborn neben ihm. »Sie lebt noch!«
Jetzt sah auch Gonvalon, wie sich die Lippen der Frau bewegten. Ihre großen, grünen, lidlosen Augen waren auf ihn gerichtet. Er konnte nicht verstehen, was sie sagte, las nur die Qual in ihren Augen. Er war fassungslos, dass Lyvianne und Bidayn das hatten tun können.
Nodon, der zu ihnen aufgeschlossen hatte, hob etwas mit der Spitze seines Schwertes hoch. Es war durchscheinend, wie Pergament. Ein Rautenmuster war darauf zu erkennen. »Auch Bidayn hat sich gehäutet.«
Gonvalon hörte Eleborn hinter sich würgen. Der Schwertmeister hatte das Gefühl, dass ihm der Boden unter den Füßen weggezogen wurde. Wie hatte Lyvianne nur so grausam sein können! Wie … Das Wanken des Bodens war mehr als nur ein Gefühl gewesen. Die Erde unter ihm bäumte sich auf. Ein dumpfes Geräusch stieg aus der Tiefe auf – als zerbreche etwas. Dann wurde es tausendfach variiert. Ein breiter Riss lief durch die Hauswand ihm gegenüber. Ein Teil der Galerie sackte zur Seite.
Nandalee packte ihn und zog ihn in den gewölbten Durchgang des Torhauses. Steine prasselten in den Hof. Nodon war noch immer dort. Sein Schwert beschrieb einen blitzenden Bogen. Die Haut, die er aufgespießt hatte, flog davon. Seine Klinge stach nieder und durchbohrte das Herz der Sterbenden. Ihre bebenden Lippen kamen zur Ruhe, als eine ganze Hauswand in den Hof stürzte. Staub wirbelte auf und legte sich wie eine neue Haut über ihren geschundenen Leib. Ziegelsteine rollten bis zum Durchgang des Torhauses. Doch nicht einer berührte die Tote.
Das Beben endete so unvermittelt, wie es begonnen hatte. Inmitten des Schutts lag eine zersplitterte Kleidertruhe. Ein Seidenschal in den tausend Rottönen eines Sonnenaufgangs glitt in einer Kaskade aus schillernden Farben heraus. Wie bunte Blüten, davongetragen vom Frühlingswind, flatterten die Kleider der Seidenen durch den Hof. Der Schal legte sich um den Hals der Toten und bedeckte ihre Augen, die hinauf zu einem Wolkenschiff blickten, das über den Himmel schwebte.
I m Himmel
»Seht, meine Brüder und Schwestern, wie Nangog die Stadt straft, die uns in Verdammnis schicken wollte!«, rief Barnaba, und seine Stimme war so gewaltig, dass sie auch zu dem zweiten Wolkenschiff trug, das dicht neben ihnen durch den Himmel glitt.
Der Prediger ließ den Blick über die Stadt tief unter ihnen wandern. Es war genauso, wie Nangog es ihm in seinen Visionen gezeigt hatte. Wie von unsichtbaren Hämmern getroffen, brachen die Paläste und hohen Wohnhäuser in sich zusammen. Ankertürme knickten, als seien sie nicht mehr als lange Grashalme, nach denen übermütige Burschen mit Weidenruten schlugen. Staub erhob sich in rotbraunen Wolken über der Stadt, und das Getöse dröhnte ihnen selbst hier, hoch am Himmel, in den Ohren.
»Halt dein Maul, Prediger, oder ich lass dich deine Zähne fressen!«, fuhr ihn der Hauptmann der Wachen an, die als ihre Kerkermeister mit an Bord gegangen waren. Er war ein großer, gedrungener Kerl, dessen Hals so kurz war, dass es schien, als würde sein Kopf direkt aus dem Rumpf wachsen. Ein kurzer, eckiger Bart betonte das breite Kinn, sein Schädel war kahlgeschoren. Man musste ihn nur ansehen, um zu wissen, dass er ein grausamer Mann war, dachte Barnaba, aber selbst er sollte Gelegenheit haben,
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