Drachenelfen - Die gefesselte Göttin (German Edition)
die Schürfwunden auf ihren Armen. Nach dem Getöse der einstürzenden Bauten war es nun geradezu still. Nur leises Wimmern war zu hören. Irgendwo in der Nähe steigerte sich ein Hund in immer schrilleres Gekläff. Die Luft war so voller rotem Ziegelstaub, als hinge dichter Nebel in den Straßen. Das, was von den Straßen übrig geblieben war …
Dort, wo eben noch eine fünfzehn Schritt breite, sanft ansteigende Treppe gewesen war, die zur nächsten Terrasse der Stadt führte, erstreckte sich nun eine Geröllhalde. Rote Ziegelsteine und Fragmente aus Marmorverblendungen hatten die Treppe völlig verschwinden lassen. Dazwischen ragten Mauerstücke auf, die, obwohl sie auf die Straße gestürzt waren, noch einen Verband aus Ziegeln bildeten. Säulenkapitelle und ein einzelner Kopf aus grauem Stein erhoben sich aus dem Schutt.
Der Staub kratzte in Bidayns Hals. Ihr Mund war trocken. Lyvianne stand vor ihr, eine Gestalt aus Staub. Ihre Augen wirkten unnatürlich groß in der roten Maske, zu der ihr Gesicht geworden war.
»Wir haben Glück gehabt«, sagte sie mit rauer Stimme. Dann sah sie Bidayn zweifelnd an. »Geht es dir gut?«
Bidayn hob ihre Arme. Das Blut der Schürfwunden hatte mit dem Staub einen zähen Brei gebildet.
»Du musst dir keine Sorgen machen. Das ist jetzt deine Haut. Sie wird verheilen, und es werden keine neuen Narben bleiben. Komm jetzt, es ist nicht mehr weit bis zur Goldenen Pforte.«
Bidayn sah sich um. Sie hatte jegliche Orientierung verloren. Nichts sah mehr aus wie vor wenigen Augenblicken. Sie dachte an die Menschen, die eben noch auf der Straße gewesen waren. Ein Stück voraus ragten schräg die Pfosten einer goldbeschlagenen Sänfte aus dem Geröll. Von den Trägern war nichts zu sehen. Sie folgte Lyvianne, die sich entschlossen den Hang aus Trümmern hinaufkämpfte. Jeden Schritt galt es mit Bedacht zu setzen. Nichts war mehr festgefügt in dieser Welt. Auch im Geröllhang war noch Bewegung, Steine sackten nach. Hinter ihnen stürzte eine ganze Hauswand auf die Straße, und eine neue Wolke aus Staub kroch den Hang hinauf.
Bidayn trat auf etwas Weiches. Sie blickte hinab und sah eine zierliche Hand mit Silberringen zwischen den Ziegelsteinen. Sie regte sich nicht. Die weiße Haut erinnerte die Elfe an das, was sie vor dem Beben getan hatte. Es war ihre Entscheidung gewesen. Lyvianne hatte ihr nur die Möglichkeit angeboten. Hätte sie der Meisterin nicht zugestimmt, wäre nichts geschehen. Bidayn strich vorsichtig über ihre nackten Arme. Es gab keine Narben mehr! Mit Schrecken dachte sie an das, was geschehen war. Daran, wie sie das Wort der Macht gesprochen hatte, das sie mit der Menschen tochter verband. Sie hatten nackt nebeneinandergelegen, die Hände ineinander verschränkt. Und dann hatte die Haut begonnen, sich zu bewegen … in Wellen, als sei irgendetwas darunter. Sie war zum Leben erwacht, war über ihre Finger gekrochen, während sie die Menschentochter verließ. Gleichzeitig hatte sie selbst begonnen, sich zu häuten, wie eine Schlange, nur dass dort, wo ihre Haut gewichen war, für endlose, peinigende Augenblicke nur rohes Fleisch geblieben war, bis die Menschenhaut darüberkroch und anwuchs. Die Menschentochter aber hatten sie nackt, als Jammergestalt aus rohem Fleisch zurückgelassen. Noch lebend, doch zum Tode verdammt.
Die neue Haut hatte sich ganz und gar ihrem Körper angepasst. Bidayn fühlte keinen Unterschied zu früher, obwohl Lyvianne sie gewarnt hatte. Möglicherweise würde die Haut der Menschentochter in einigen Jahren zu altern beginnen. Sicher war das allerdings nicht. Und selbst wenn es nach einer Weile dieses Problem gäbe, sie würde es noch einmal tun. Menschenkinder gab es ja mehr als genug, und sie wusste nun, wie dieser Zauber zu weben war. Wieder strich sie sich über die Arme. Es war gut, nicht mehr gebrandmarkt zu sein! Sie würde keine mitleidigen Blicke mehr für ihre Narben ernten. Sie würde sich endlich Männern zeigen können. Sie hatte Sehnsucht danach, in starken Armen zu liegen, fremden Atem auf ihrer Haut zu spüren und Begehren in den Blicken zu lesen, die ihren nackten Körper betrachteten. Endlich würde sie wieder ganz sein! Was Nangog ihr genommen hatte, hatte sie sich auch auf Nangog zurückgeholt. Es war ihr gutes Recht gewesen, das zu tun!
Zuerst hörten sie das Geschrei. Es klang anders als das Wimmern der Verletzten und Wehklagen jener, die inmitten der Trümmer verzweifelt nach Überlebenden suchten. Panik lag in
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