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Drachenelfen - Die gefesselte Göttin (German Edition)

Drachenelfen - Die gefesselte Göttin (German Edition)

Titel: Drachenelfen - Die gefesselte Göttin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Hennen
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drang aus der Höhle. Die Elfe öffnete ihr Verborgenes Auge, und ihr Blick auf die Welt änderte sich. Sie sah das verschlungene Netz aus Kraftlinien, und dann entdeckte sie den Silberlöwen. Er presste sich hinter dem Felsbrocken zu Boden, bereit, jeden anzugreifen, der in die Höhle eindrang.
    Sie gab Gonvalon, der ihr gefolgt war, ein Zeichen, dass sie das Raubtier entdeckt hatte, und deutete auf einen gesplitterten Zedernstamm, der nicht weit entfernt auf einem Felsvorsprung lag. Sie benötigten einen Hebel, wenn sie den Stein vor dem Eingang bewegen wollten. Der Schwertmeister warf ihr einen verzweifelten Blick zu, holte aber den Stamm.
    »Wenn das Vieh herauskommt, wird es als Dank einen von uns zum Nachtmahl erwählen.«
    »Ich leugne nicht, dass das geschehen könnte.«
    »Warum machen wir es dann?«, grollte Gonvalon.
    »Weil es das Richtige ist. Und weil wir Drachenelfen sind. Es ist unsere Aufgabe, das Richtige zu tun.«
    Ein Lächeln stahl sich ins ebenmäßige Gesicht des Schwertmeis ters. »Ich würde sagen, es gibt unter den Drachenelfen nur wenige, die deine Auffassung über unsere Pflichten teilen würden.«
    »Ich werde dafür sorgen, dass es mehr werden. Und jetzt komm, verkanten wir den Stamm dort unten und hebeln den Fels zur Seite.« Es war gefährlich, nur einen Schritt am Abgrund den jungen Baumstamm zu balancieren. Schließlich gelang es Nandalee und Gonvalon, den Stamm zwischen einen kopfgroßen Stein und den Felsbrocken zu klemmen. Mit vereinten Kräften stemmten sie sich dagegen. Kurz schafften sie es, den Fels anzuheben, dann polterte er wieder in seine Ausgangsposition zurück. Aus der Höhle erklang jetzt ein ängstliches Fauchen. Der Silberlöwe würde nur dann entkommen, wenn er den Augenblick nutzte, in dem der Fels in der Schwebe war. Doch statt nach draußen zu flüchten, hatte er sich nun in das äußerste Ende der engen Höhle zurückgezogen.
    Dreimal versuchten sie es. Und dreimal verließ der Jäger sein Gefängnis, das ihm zum Grab werden würde, nicht.
    Gonvalon schüttelte resigniert den Kopf. »Wir haben alles versucht. Überlassen wir die Katze ihrem Schicksal. Vergiss nicht, ich werde ruhiger schlafen, wenn sie nachts nicht mehr durch die Felsen schleicht.«
    Es war vernünftig, was er sagte, und doch wollte Nandalee seine Worte nicht hören. Sie starrte den Felsen an, als könnte sie ihn allein kraft ihres Willens bewegen. Vielleicht wäre das möglich? Sie starrte und starrte. Versuchte, sich im Geiste vorzustellen, wie sich der riesige Gesteinsbrocken bewegte, aber nichts geschah. Einen solchen Zauber zu weben war ihr offenbar nicht gegeben. Allerdings gäbe es noch eine letzte Möglichkeit. Gonvalon würde es hassen! Es wäre besser, ihm nicht zu sagen, was sie plante, sondern es einfach zu tun.
    Sie ging in die Hocke und näherte sich vorsichtig dem Spalt im Fels.
    »Was machst du da?«
    Nandalee legte einen Finger auf ihre Lippen und öffnete erneut ihr Verborgenes Auge. Sie sah die Aura des Silberlöwen. Seine Angst. Ruhig redete sie auf ihn ein, suchte im Geiste nach seinen Gefühlen. Flach auf den Boden gedrückt, näherte er sich dem Eingang. Er wollte kämpfen. Sie versuchte, Bilder in das Bewusstsein des Tieres fließen zu lassen. Zeigte ihm, wie es schnell durch den Spalt schlüpfen musste, sobald sich der Fels bewegte. Sie ließ ihn die verwüstete Klamm hinaufstürmen. Fort, in Freiheit und Sicherheit.
    Ein leises Knurren drang aus dem Spalt. Hatte er verstanden? Die Elfe war sich nicht sicher, ob es überhaupt eine Verbindung zwischen ihnen gegeben hatte. Aber ein Jäger, der sich geduckt anschlich, würde nicht knurren – er würde lautlos näher kommen, wenn er sie angreifen wollte. Oder würde er in seiner Panik nach allem schnappen, was sich ihm näherte? Es war unmöglich einzuschätzen, wie sich ein Raubtier, das in der Falle saß, verhalten würde. Wenn sie ganz sicher sein wollte, dass ihre Gedanken den Silberlöwen erreicht hatten, müsste sie ihn berühren. Sie musste ein Band zu ihm herstellen. Hinter sich hörte sie Gonvalon scharf einatmen, als er begriff, was sie vorhatte.
    Nandalee streckte den Arm durch den Spalt. Ohne Zögern, ohne Angst. Wenn sie nach Furcht roch, dann würde die Raubkatze sie für Beute halten und angreifen. Das war ihr Instinkt.
    Ein Tatzenhieb traf ihre vorgestreckte Hand. Nandalee zuckte nicht zurück, auch wenn ihr Herzschlag für einen Augenblick aussetzte. Der Silberlöwe hatte seine Krallen nicht ausgefahren.

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