Drachenelfen - Die gefesselte Göttin (German Edition)
entronnen, hatte mit ihrem letzten Aufbäumen den verwunschenen Zirkel hinter sich gelassen, den die Drachen in die Wüste gezogen hatten. Dort, gleich hinter der dritten flachen Mulde im Sand, lag die unsichtbare Grenze, an der der Zauberbann endete.
Sie war der Todesfalle der göttergleichen Himmelsschlangen entgangen! Sie durfte nicht einfach wie ein Stück Vieh in der Wüste verenden. Wieder blickte sie nach der Kehle der Raubkatze. Die Rettung war zum Greifen nah. Sie machte einen ersten schwankenden Schritt, und augenblicklich wurde ihr schwindelig. Ihr leerer Magen rebellierte, ein pochender Schmerz wütete hinter ihrer Stirn. Nandalee schloss die Augen und sammelte sich. Sie machte einen weiteren, unsicheren Schritt.
Sie tastete nach der Kruste aus geronnenem Blut und Sand, die ihr rechtes Auge verklebte. Rieb vorsichtig über die wunde Haut und machte den nächsten Schritt. Als sie die Augen öffnete, war der Silberlöwe ein Stück vor ihr zurückgewichen. Der Abstand zu ihm hatte sich um keinen Zoll verringert. Wusste er, was sie wollte? Wie könnte sie ihn ködern? Kurz überlegte sie, in die Knie zu gehen, um kleiner und weniger bedrohlich auszusehen, aber sie hatte Angst, nicht wieder auf die Beine zu kommen. Und bedrohlich sah sie für den Silberlöwen ganz gewiss nicht aus!
Was hatte ihn zu ihr geführt? Hatte er von den hohen Klippen des Jadegartens einen winzigen, unbeweglichen Punkt in der Wüste gesehen. Beute? Er war kein Aasfresser. Bestand ein Band zwischen ihnen, seit sie ihm das Leben gerettet hatte, wie es einst ein Band zwischen ihr und der kleinen Misteldrossel Piep gegeben hatte? Dem Vogel, den sie in der Weißen Halle aufgezogen hatte, über den die anderen Novizen so gespottet hatten, und der doch Gonvalon zu ihr geführt hatte, als sie verloren gewesen war.
Sie wollte nicht wissen, ob es ein Band zwischen ihnen gab. Er war ihre Beute. Sein Leben würde ihr Leben sichern, das war alles, was sie miteinander verband! Nandalee hielt den Blick fest auf ihn gerichtet und machte einen Schritt vorwärts. Er wich zurück. Sie wollte ihn ködern, ihm etwas Freundliches sagen oder wenigstens einen gurrenden Laut hervorbringen, aber ihre Kehle war zu trocken. Sie stieß ein Krächzen aus wie ein Aasvogel.
Wenn sie plötzlich loslief, dann könnte sie ihn vielleicht erwischen. Sie stellte sich vor, wie sie ihre Arme um seinen Hals schlang, ihn zur Seite riss und ihm die Kehle durchbiss. So würde sie es tun müssen. Sie hatte kein Messer, und in dieser verdammten Wüste gab es auch keine Aussicht, einen Stein oder ein Stück Holz zu finden. Hier gab es nichts außer Sand. Lange würde sie nicht durchhalten. Sie musste es schnell tun. Alles sprach gegen sie. Mit seinen Fangzähnen und Tatzen war der Silberlöwe deutlich besser für einen Kampf gewappnet. Und er war ohne Zweifel stärker und schneller. Sie musste ihn überraschen, das war ihre einzige Hoffnung. Und er durfte es nicht schaffen, sich umzudrehen, wenn sie sich am Boden wanden und sie seine Kehle umklammert hielt. Sonst würde er ihr mit seinen Hinterläufen die Eingeweide aus dem Leib reißen.
Nandalee machte ein paar Schritt nach vorne, er wich zurück. Sie fluchte innerlich, aber ihre Wut gab ihr die Kraft weiterzugehen. Könnte sie ihn durch einen Zauber überwältigen? Ein Wort der Macht, das ihn erstarren ließ, wehrlos machte? Sie versuchte erneut zu sprechen, brachte aber wieder nur ein Krächzen hervor. Sie fühlte sich wie ein altes Maultier, dem eine Möhre vor die Nüstern gehalten wurde, damit es willfährig einen Karren zog.
Sie dachte an die drei Schritte, die den Unterschied zwischen Leben und Tod ausgemacht hatten, und ging weiter. Die Sonne stieg höher. Unerbittlich brannte sie auf die Wüste und verwandelte die Luft in flüssiges Glas, das Nandalee bei jedem Atemzug die Kehle versengte. Sie schleppte sich voran, immer den Blick auf das silbrige Fell des Löwen gerichtet. Längst dachte sie gar nichts mehr, hatte alle Hoffnung aufgegeben, ging nur noch. Noch einen Schritt und noch einen, bis sie in das Loch einer Wüstenmaus trat, ihr der Fuß umknickte und sie stürzte. Schwer kam sie wieder hoch, ging weiter, bis ihr erneut die Beine wegknickten, diesmal aus Schwäche.
Die Sonne stand im Zenit. Sie verbrannte Nandalees Gesicht. Sie kroch auf den Knien weiter. Sie durfte nicht aufhören, sich zu bewegen. Jeder Schritt zählte. Erste dürre Grasbüschel ragten aus dem Sand. Vielleicht gab es ein Wasserloch. Sie
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