Drachenelfen - Die gefesselte Göttin (German Edition)
einen Torbogen, so hoch wie eine alte Zeder. Mannslange Eiszapfen hingen von der Wölbung hinab und ließen Artax an einen Raubtierschlund denken. Der Wind erzeugte seltsame Laute, als er durch die Eiszapfen strich. Sie erinnerten an das leise Wimmern eines verwundeten Tiers. Hinter dem Tor lag ein fensterloser Saal, der sich in Schatten verlor. Das Echo ihrer Schritte hallte von den fernen Wänden wider.
Der Löwenhäuptige führte ihn zu einer Treppe, deren Stufen so hoch waren, dass es unangenehm war, sie zu ersteigen. Artax kam sich vor wie ein kleines Kind. Dieser Turm war wahrlich nicht für Menschen erbaut worden. Sie verließen die Treppe und durch querten einen zweiten Saal. Hier war es heller, doch bald wünschte Artax sich, es wäre so dunkel wie unten beim Eingang. Etwas stimmte mit diesem Raum nicht. Sie gingen auf eine große Tür zu, neben der ein gewaltiger Tierschädel an der Wand lehnte. Jedes Mal, wenn sie die Tür fast erreicht hatten, schien sie ein Stück vor ihnen zu fliehen. Verwirrt blickte Artax zurück. Die Treppe lag nur ein kurzes Stück hinter ihnen, aber sie gingen und gingen, ohne voranzukommen. Die Decke wurde von einem weit gespannten Kreuzgewölbe getragen. Zwei Reihen von Säulen untergliederten den Saal. Jedes Mal, wenn er zur Decke sah, hatte er das Gefühl, dass ganz am Rande seines Gesichtsfeldes die Streben des Gewölbes verrutschten. Ein Anblick, der ihm Übelkeit bereitete.
Plötzlich standen sie vor dem Schädel, als hätten sie einen weiten Sprung quer durch den Saal getan. Da war etwas in diesem knöchernen Gefängnis. Etwas bewegte sich in den Schatten. Flüch tig glaubte Artax eine Gestalt zu sehen. Oder war es ein Trugbild? Als er genauer hinsah, waren dort nur noch Schatten.
»Sei nicht zu neugierig«, warnte der Löwenhäuptige. »Es gibt Wissen, das dir für immer deinen Seelenfrieden rauben würde. Es anzustreben ist nicht weise. Und nun folge mir.« Wie von Geisterhand schwang die hohe Tür vor ihnen auf. Vor ihnen lag ein weiterer Saal, durch den Säulen aus Schatten wanderten. Sie erinnerten Artax an die breiten Lichtbahnen, die an sonnigen Tagen durch die schmalen Dachluken in seinen düsteren Thronsaal in Ak š u fielen. Doch hier waren Licht und Schatten vertauscht. Der weite Saal war hell, ohne dass es ein einziges Fenster gegeben hatte. Und durch das Licht bewegten sich Schattensäulen, unstet, springend, manchmal flackerten sie sogar und verblassten, um dann urplötzlich an anderer Stelle neu zu erstehen. Die befremdlichen Lichtverhältnisse machten es Artax unmöglich zu sagen, wie groß der Saal war. Auch konnte er nicht einschätzen, wie viele Devanthar sich versammelt hatten. Dreißig? Vierzig? Manche stan den in kleinen Gruppen beisammen, andere allein, und immer wieder verschwanden einzelne in den tanzenden Schattensäulen, um binnen eines Herzschlags an anderer Stelle im Saal wieder zu erscheinen.
Kaum dass er die Schwelle der hohen Tür überschritten hatte, erscholl hinter ihm das leise Wimmern, das er schon gehört hatte, als er den Turm betreten hatte. Es war ein Laut, bar jeglicher Hoffnung. Die Stimme des Wahnsinns.
Mit dumpfem Klang schloss sich hinter ihm die Tür, und der Löwenhäuptige erhob an seiner Seite die Stimme: »Es sind alle meine Brüder und Schwestern hier, bis auf eine, Artax, der ich dich zum Unsterblichen Aaron erhoben habe. Wir haben uns versammelt, um über dich zu richten.«
»Er hat gestohlen, was der Schlange gehörte«, kam es zischelnd aus der Dunkelheit. Kurz erhaschte Artax einen Blick auf einen Schlangenleib, der sich um eine graue Säule wand. Mächtige Schwingen wuchsen aus dem Rücken der Kreatur, und geschlitzte Pupillen durchbohrten ihn mit ihrem Hass.
Artax war froh, als die Kreatur wieder von gnädiger Dunkelheit verschlungen wurde.
»Den Frieden des Tempels hat er gebrochen, Priester gemordet und den Auserwählten vom Altar geraubt. Ich verlange, dass sein Herz der Gefiederten Schlange geopfert wird.«
Artax nahm all seinen Mut zusammen, blickte fest auf die Säule aus Dunkelheit, die die Schlange verschlungen hatte, und antwortete: »Wer in den Ring tritt und als Erster die Faust erhebt, dem steht es nicht zu zu jammern, wenn er durch die Faust fällt.«
In einem fernen Winkel des Saals ertönte Gelächter.
»Gut gesprochen, Mensch«, rief eine helle Stimme.
»Volodi aus Drusna, Hauptmann meiner Leibwache, wurde nach der Schlacht auf der Hochebene von Kush entführt, von Männern, die ich für
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