Drachenelfen
zieht es einen der Zauberer in sich hinein. Verstehst du? Man geht nicht an einen anderen Ort. Man hört auf zu sein und wird ein Teil des Fensters! So wächst seine Macht.«
Bidayn lächelte. Es wirkte ein wenig gezwungen. »Ein Fenster, das Elfen frisst? Das hört sich doch sehr nach einer Schreckgeschichte für Kinder an. Oder gibt es Beweise dafür?«
»Gäbe es Beweise, wäre das Fenster nicht mehr hier. Aber siehst du diesen grünen Glassplitter dort? Da vorn, neben dem leuchtend orangefarbenen Glas? Ich könnte schwören, dass dies genau das Grün der Augen jenes Schülers ist, der hier vor so langer Zeit verschwand. Und ich bin mir fast sicher, dass es dieses Glas vor seinem Verschwinden im Fenster noch nicht gegeben hat. Vielleicht ist er also immer noch hier â verwandelt in eine andere Form und unfähig, sich uns mitzuteilen.«
»Aber müsste man das nicht am Muster des Zaubers erkennen können?«
Lyvianne lachte. »Ein überaus kluger Einwand. Hast du dir jemals ein Artefakt angesehen, das von Drachen erschaffen wurde? Ich sagte ja schon, sie weben Zauber anders als wir. Es ist etwa so, als würdest du ein Spinnennetz mit einem feinen Seidentuch vergleichen.
Beides wurde aus einem Insektenfaden erschaffen. Und das ist auch schon die einzige Gemeinsamkeit. Die Zauber der Drachen sind unendlich viel komplexer und feiner gewoben, als es unsere Zauber sind. Ãffne dein Verborgenes Auge, schau auf das Fenster, und du wirst geblendet sein, so viele Kraftlinien laufen in den Zauberwerken der Drachen zusammen. Wo Drachenzauber wirken, wird das natürliche magische Netz, in das alle Dinge eingewoben sind, verzerrt.«
»Du meinst, sie verändern die Schöpfung der Alben?«
Lyvianne war von der Frage überrascht. Sie selbst war einst so sehr von der Macht und Brillanz der Drachenmagie geblendet gewesen, dass sie lange gebraucht hatte, bis sie diese letzte Konsequenz erkannt hatte. »In der Tat, darauf läuft es hinaus«, entgegnete sie, darauf bedacht, nicht wertend zu klingen.
»Und die Alben lassen es geschehen?«
»Würden unsere Schöpfer etwas dulden, das nicht in ihrem Sinne ist?« Lyvianne zuckte mit den Schultern. »Deine Fragen führen auf das Gebiet der Philosophie, vielleicht sogar der Ethik. Ich muss gestehen, auf diesem Terrain bin ich nicht sonderlich bewandert. Manche verachten mich sogar für meinen scheinbaren Mangel an Ethik oder Gewissen.«
Bidayn wirkte auf sie verunsichert, aber auch neugierig. Lyvianne war sich sicher, dass sie die junge Schülerin in den nächsten Monden ganz und gar auf ihre Seite ziehen konnte. Die Kleine fühlte sich zu den Verfolgten hingezogen. Zu den ungerecht Behandelten. Wahrscheinlich war sie deshalb Nandalees Freundin geworden.
»Ich werde selbst von einigen der Lehrer hier verachtet, denn ich strebe nach Vollkommenheit. Und ich glaube, der Weg dahin, unser Volk vollkommener zu machen, führt über ein tiefes Verständnis von Magie. Die meisten hier aber denken nur an die Vervollkommnung ihrer Schwertkampftechnik. Also halten sie mich für seltsam.« Sie lächelte. »Aber belaste dich nicht damit.«
»Ich weià nur zu gut, was du meinst«, entgegnete Bidayn niedergeschlagen.
»Wirklich?«
»Ailyn verprügelt mich, weil ich ungeschickt bei den Schwertkampfübungen bin. Meine beste Freundin zeigt mit jedem Tag, den sie hier verbringt, mehr, dass eigentlich ein Troll in ihr steckt. Und die meisten meiner Mitschüler reden nicht mit mir, wahrscheinlich, weil sie mir anmerken, dass ich keine Kriegerin bin.«
»Eines Tages werden sie zu dir aufsehen, Bidayn. Du trägst etwas in dir, das man sich nicht durch Ãbung erwerben kann. Du bist begabt als Zauberweberin. Ich werde diese Begabung fördern, aber das muss unser Geheimnis bleiben. Ich kann dir etwas zeigen, das dich die meisten Schwertkämpfe gewinnen lässt. Du wirst mehr Respekt genieÃen. Hast du Mut?«
»Ich weià nicht â¦Â«
Lyvianne trat an eines der Regale und nahm ein Buch heraus. »Nimm das hier! Ich stelle mich ans andere Ende des nächsten Zimmers. Wenn ich dort bin, zählst du laut bis drei. Dann schleuderst du das Buch mit aller Kraft auf den Boden. Und behalte mich im Auge.«
Bidayn sah sie stirnrunzelnd an. Wahrscheinlich hielt sie das Ganze für albern.
Lyvianne ging in das Nebenzimmer und sprach leise ein Wort
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