Drachenelfen
jemanden im Arm gehalten hatte. Sie dachte an Flamingos. An eine warme Nacht.
An die Augen ihres kleinen Jungen. Diese Augen ⦠Wie sehr sie gestrahlt hatten, wenn sie sich morgens über sein Bett gebeugt hatte!
Es kostete sie Ãberwindung, das Wort in der Zunge der Drachen über die Lippen zu bringen. Ein Kloà saà ihr im Hals. Ihr wurde bewusst, dass sie Bidayn fester an sich drückte, als es sich geziemte. Sie atmete aus und versuchte allen Schmerz und alle Bitternis aus sich flieÃen zu lassen. Versuchte nur noch die langbeinigen Vögel vor sich zu sehen. Die Flamingos.
Das runde Fenster schien sich in seinem Rahmen zu drehen. Dann kam Bewegung in die Linien aus Gold, die die tausend bunten Glassplitter zusammenhielten. Alles wirkte verzerrt und unwirklich, wie in einem Rausch. Ihr wurde übel, und sie hörte Bidayn keuchen. Die Farben tanzten vor ihren Augen. Etwas Körperloses schien plötzlich in der Kammer zu sein. Strahlendes Licht fiel durch das Fenster, obwohl dahinter eine Felswand lag.
Lyvianne stöhnte auf. Etwas zerrte an ihr und sie konnte den Blick nicht von den tanzenden Lichtern wenden. Wenn sie eins wurde mit den Lichtern, würde ihre Traurigkeit für immer enden. Dann wäre sie bei ihren verlorenen Kindern. Sie musste nur drei Schritte tun!
Plötzlich verebbte die Lichterflut. Ganz deutlich sah sie einen nächtlichen See. Hunderte Vögel standen in dem ruhigen Wasser, die Köpfe ins Gefieder gesteckt.
»Mingo â¦Â«, flüsterte sie und drückte Bidayn erneut an sich. Dann begann sie leise das Lied zu singen, das ihren Sohn so oft in den Schlaf begleitet hatte.
»Schattenweber,
Träumegeber,
wandern durch die Nacht,
schleichen sacht, sacht, sacht â¦Â«
Ein halbes Jahr später
E IN EINSAMER TOD
»Wir benutzen auch Dattelkerne, Unsterblicher. GroÃe Mengen von Dattelkernen. Aber Holzkohle ist besser. Nur geht uns das Holz aus. Aber das Kupfer holen wir gleich hier aus dem Fels.« Jitro, der Schmelzmeister, deutete stolz auf die lange Reihe von Meilern, die in einer Bodensenke lagen. Artax nickte und lieà den Blick über die weiten Berge schweifen, die sich blassblau gegen den Horizont abzeichneten. Beige Staubfahnen zogen über das ausgedörrte Land. Es war heiÃ. So heiÃ, dass er den Maskenhelm nicht tragen konnte. Er hatte stattdessen ein feines Leintuch um den Kopf geschlungen. Nur seine Augen waren noch zu sehen. Artax kannte diese Gegend. Nur drei Wegstunden von hier lag das Dorf, in dem er aufgewachsen war. Der Ort, an dem er davon geträumt hatte, reich genug zu werden, um eine Frau zu bekommen. So viele Monde waren seitdem vergangen und seine Welt stand immer noch auf dem Kopf.
Artax reiste gern. So konnte er der Last des Königshofs entfliehen. Den Ritualen, den Schreibern und Bittstellern. Auf Reisen erreichten ihn nur noch die wirklich dringenden Nachrichten. Und Aaron hasste es! Aaron ⦠Sein Quälgeist war mächtiger, als er erwartet hätte. Das wusste er jetzt. Er mied Alkohol ebenso, wie er darauf achtete, sich in seinem Streben, das Reich zu ordnen, nicht zu sehr zu erschöpfen.
»Und in den Schachtöfen gewinnen wir die Gusskuchen. GroÃe Fladen aus Kupfer«, fuhr der Schmelzmeister fort.
Artax war dankbar, dass Jitro einfach weiterredete und so tat, als habe er nicht bemerkt, dass sein Herrscher in Gedanken abgeschweift war. Wehmütig blickte er zum dichten schwarzen Rauch auf, der aus den Schmelzöfen quoll. Er war mit den Rauchsäulen am Horizont aufgewachsen und wusste, dass sie sowohl Reichtum
als auch bittere Not bedeuteten. Dennoch war er war nie hierhergekommen, in die Minensiedlung Um el-Amad. Die Schmelzen und Bergwerke waren fester Bestandteil ihres Lebens gewesen, und doch hatte kaum jemand aus seinem Dorf sie je gesehen. Sie waren drei Wegstunden entfernt. Unendlich fern für einen Bauern, der es sich nicht leisten konnte, einen halben Tag seine Felder zu verlassen, nur um seiner Neugier hinterherzulaufen.
»Wie holt ihr das Kupfer aus den Steinen heraus?«
RuÃspuren waren in die Falten von Jitros Gesicht eingebrannt â so tief, dass kein Wasser sie je würde fortspülen können. Seine dunkelbraunen Augen strahlten, doch so wie der Schatten dahintreibender Wolken über die Erde glitt, fiel plötzlich der Schatten des Zweifels auf sein Antlitz. Artax ahnte, was der Schmelzmeister dachte. Warum stellte der
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