DRACHENERDE - Die Trilogie
nichts zu bemerken. Ein paar sechsarmige Affen turnten auf den uralten, zum Teil verfallenen Mauern oder sprangen im Geäst der Bäume herum, die mitten auf Plätzen durch das steinerne Pflaster gebrochen waren oder sich gar in abgedeckten Häusern erhoben. Vögel flatterten durcheinander. Das alles glich eher einem verwilderten Garten als einer Stätte vergangenen Grauens.
Ayyaam flog auf das schroffe Gebirge in der Inselmitte zu. Er stieg so hoch, dass es auch empfindlich kalt wurde und Rajin sich wünschte, er hätte zumindest seinen warmen Mantel aus Winterborg mitgenommen.
Auf der Ostseite der Insel sank Ayyaam wieder tiefer. Auch dort war der Großteil des Landes von Dschungel überwuchert. Allerdings gab es viel mehr Lichtungen. „Landeplätze wilder Drachen!“, rief Liisho. „Die begraben alles unter sich, wenn sie niedergehen. Selbst der dickste Stamm vermag ihnen nicht zu widerstehen!“
Tatsächlich sahen sie auf mehreren Lichtungen Drachen – der eine oder andere hatte sich mit einem ostmeerländischen Blauhai oder mit einem Riesenrochen im Maul an ein ruhiges Plätzchen zurückgezogen, damit ihm keiner seiner Artgenossen die Beute wegschnappte, andere lieferten sich blutige Zweikämpfe, wobei es wahrscheinlich um Drachenweibchen ging.
„Sie kämpfen nur am Boden und ohne Feuer!“, stellte Bratlor überrascht fest. „Fast wie männliche Laufdrachen, wie ich sie mal im Hafen von Vayakor gesehen habe. Sie wurden gemeinsam in ein Geschirr gesteckt, um einen Wagen zu ziehen, obwohl sich die beiden wohl absolut nicht riechen konnten.“
„Laufdrachen speien kein Feuer“, erklärte Liisho. „Diese dort aber gehören der Drachenhauptart an.“
„Aber warum setzen sie ihr Feuer dann nicht ein?“, fragte Rajin.
„Weil sie klug sind“, antwortete Liisho. „Würden sie dort am Boden Feuer speien, käme es unweigerlich zu Waldbränden, und sie würden den Ort zerstören, der ihre Heimat ist.“
„Und wie reagieren diese wilden Drachen auf die Vergessenen Schatten?“, wollte Bratlor wissen.
„Du hast gesehen, wie ruhig und tief Ayyaam in der letzten Nacht geschlafen hat“, erinnerte Liisho. „Die Vergessenen Schatten können nur uns Menschen etwas anhaben, und die Drachen wissen das.“
Liisho lenkte Ayyaam zu einem breiten weißen Sandstrand an der Nordostküste der Insel. Hunderte von Drachen lagen dort am Strand, und der Weise erläuterte, dass dies ihr Brutplatz war.
„Du hast doch nicht etwa vor, dort niederzugehen?“, fragte Bratlor besorgt.
„Warum nicht?“, rief Liisho zurück. „Rajin muss sich ein besonders starkes Exemplar aussuchen und zu seinem Diener machen. Hier kann man so einen Drachen finden. Aber Vorsicht vor den frisch geschlüpften Jungdrachen! Die sind zwar nicht größer als ein Mann, aber es dauert eine Weile, bis sie gut genug erzogen sind und sich an das Feuerverbot der Inseldrachen halten. Auch wenn ihr Drachenfeuer noch nicht so mächtig ist wie das eines erwachsenen Drachen, so reicht es durchaus, um einen Mann in eine lebende Fackel zu verwandeln!“
Nach diesen Worten lenkte Liisho seinen Drachen mitten in die Brutkolonie hinein. Die Drachen der Hauptart kannten keine richtige Brutzeit. Sie legten das ganze Jahr über Eier, die dann manchmal viele Jahre brauchten, bis die Jungen schlüpften. In den Drachenpferchen der Drachenier gab es eigens ausgebildete Brutpfleger, die diese äußerst empfindlichen und nur durch eine weiche, nachgiebige Schale geschützten Eier, von denen die kleineren die Höhe eines großen Mannes und die größeren die Höhe eines Riesen hatten, mit großer Hingabe vor Kälte bewahrten. Man wickelte sie nicht selten in Tierfelle oder Wolldecken ein oder entzündete in der Nähe Feuer, wenn man wusste, dass der Jungdrache kurz vorm Schlüpfen stand.
Die Drachen der Insel der Vergessenen Schatten vergruben ihre Eier einfach im Sand.
Ayyaam war größer als die meisten der Drachen am Strand. Mit einem fauchenden Laut landete er – allerdings wie die Inseldrachen ohne einen Feuerstrahl hervorschießen zu lassen. Entweder hatte Ayyaam einst selbst dieser Gemeinschaft von Inseldrachen angehört und erinnerte sich nun ihrer Regeln – oder er vermochte intuitiv zu erfassen, was die anderen von ihm erwarteten und was er auf keinen Fall tun durfte, wenn er nicht sofort allen Anwesenden als erklärter Feind begegnen wollte.
Nun, da Drachen ja durchaus begriffen, was Menschen von ihnen wollten, war anzunehmen, dass es ihnen umso
Weitere Kostenlose Bücher