DRACHENERDE - Die Trilogie
Wasser glitzern, und man hatte einen klaren Blick auf den aus dem Wasser ragenden schwarzen Felsen und den Turm. An dessen Spitze leuchtete etwas, aber Rajin konnte nicht erkennen, was es war. Vielleicht spiegelte das Zauberjuwel, das sich dort befinden musste, einfach nur die Sonne wider.
Ayyaam schien es tatsächlich sehr viel besser zu gehen. Liisho hieß ihn die Flügel stillzuhalten, weil er genau überprüfen wollte, ob sich die Risse und Löcher darin, die er im Kampf davongetragen hatte, bereits geschlossen hatten. Mit dem Ergebnis schien der Weise recht zufrieden zu sein. „Es ist doch immer wieder erstaunlich, wie enorm die Selbstheilungskräfte von Drachen sind, wenn man sie durch die richtigen Mittel zu unterstützen weiß“, murmelte er. Auch die Wunden am Körper hatten sich größtenteils geschlossen. An einer Stelle am Halsansatz trug Liisho noch ein Pulver auf, da sich dort Schorf gebildet hatte.
Dann berührte er den Drachen mit seinem Stab und sprach dazu ein paar formelhafte Worte. Ayyaam erhob sich daraufhin, stieß einen gurgelnden Laut aus und schnaubte dann vernehmlich, sodass Feuer sowohl aus seinem Maul als auch aus den Nasenlöchern schoss.
Liisho trat etwas zurück, und das ließ es Rajin und Bratlor ratsam erscheinen, dies ebenfalls zu tun.
Ayyaam breitete die Flügel aus und erhob sich in die Lüfte. Schon im nächsten Moment glitt er auf das Meer hinaus, dem leuchtenden Turm entgegen.
„Ich lasse ihn jetzt jagen“, erklärte Liisho an Rajin gewandt und lächelte dabei hintergründig. „Kein Drachenmeister des Kaisers würde dies wagen, weil sie alle fürchten, dass ihr Drache einfach nicht zurückkehren würde. Stattdessen füttern sie ihre Drachen lieber mit Stockseemammut. Aber wo sollte ich hier die Mengen davon herbekommen, die man braucht, um diesen Riesen einigermaßen bei Laune zu halten? Die Gewässer vor Qô sind sehr fischreich, da wäre es dumm, diese reichlich gefüllte Drachenkrippe nicht zu nutzen.“
„Und du hast keine Sorge, dass sich auch Ayyaam eines Tages auf und davon machen könnte?“, fragte Rajin verwundert.
„Es ist alles eine Frage der inneren Stärke, Rajin. Die Drachenreiter-Samurai vertrauen auf den Drachenkaiser und die Macht seiner Ringe, um ihre Drachen zu beherrschen. Daher fehlt ihnen die innere Kraft, ihre Drachen zu sich zurückzurufen, wenn diese einmal allein losfliegen.“ Liisho machte eine verächtliche Handbewegung. „Nun, die meisten von denen könnten einen Drachen wie Ayyaam nicht einmal reiten. Schon deshalb nicht, weil auch er ein ehemaliger Wilddrache und somit durch die Ringe des Kaisers nur schwer zu beeinflussen ist.“
„Und was gibt dir den Glauben, dass ich das schaffen könnte?“, fragte Rajin.
Das Gesicht des Weisen veränderte sich und zeigte auf einmal deutlichen Ärger. „Zweifle niemals an dir selbst, Rajin. Andenfalls wirst du deine Aufgabe nicht erfüllen können!“
Ayyaam kehrte überraschend schnell wieder zurück und landete auf dem Plateau. Ein zufriedenes Gurren drang aus seiner Kehle.
„Er scheint gesättigt zu sein“, sagte Liisho. „Er wird jetzt tagelang nichts brauchen.“
Beim Satteln des Drachen ließ der Weise zunächst Rajin und Bratlor ihr Glück versuchen, und die beiden stellten sich gar nicht so dumm an. Dennoch musste Liisho zum Schluss doch noch geringfügig eingreifen, damit die Riemen richtig saßen.
Dann ließen sie sich von der riesenhaften Kreatur landeinwärts tragen.
Bei diesem Flug wurde deutlich, wie riesig die Stadt Qô einst gewesen war. Das, was Rajin in der Nacht für ihre Grenze zu den Urwäldern des Inlands gehalten hatte, war in Wahrheit nur ein von allerlei Pflanzen überwucherter Wall, über den die Stadt aber zu ihren besten Zeiten weit hinausgewachsen war. Überall ragten eingefallene Dächer, Kuppeln, Türme und gewaltige Steinkegel aus dem wuchernden Grün.
„Niemand kennt noch die Namen derjenigen, die einst auf dieser Insel ein sechstes Reich ausriefen, das gleichberechtigt neben den anderen fünf stehen sollte“, sagte Liisho während des Fluges. „Kaiser Onjin hat dafür gesorgt, dass sie aus allen Dokumenten und Aufzeichnungen gelöscht wurden. Selbst die Götter, denen diese mächtigen Tempel errichtet wurden, kennt niemand mehr, denn das alles geschah, bevor sich der Kult des Unsichtbaren Gottes in Drachenia ausbreitete.“
Rajin blickte hinab und dachte an die Vergessenen Schatten, die dort des Nachts erwachten – bei Tag war davon
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