DRACHENERDE - Die Trilogie
erklärt, dass es zu den schwierigsten Künsten gehörte, einen Drachen dazu zu bringen, mit gespreizten Flügeln zu schlafen, damit Verletzungen, die der Drache dort davongetragen hatte, besser heilten.
Rajin ließ den Blick schweifen. Nirgends war etwas zu sehen, das sein Misstrauen geweckt hätte. Nur das Wimmern und Wehklagen wurde immer lauter.
Bratlor tauchte hinter ihm auf, ebenfalls mit dem Schwert in der Hand. „Ihr Götter“, murrte er. „An was für einen Ort sind wir geraten?“
Ayyaams Atem ging ruhig und regelmäßig und vermischte sich mit dem Rauschen des Meeres.
Endlich erschien auch Liisho. Aber seine Sorge galt nicht den Stimmen, sondern seinem Drachen. Er ging auf Ayyaam zu, berührte ihn zwischen den Nasenlöchern mit seinem Drachenstab. Die Vorsichtsregel, die er Rajin gegeben hatte und nach der man sich nicht von vorn einem Drachenmaul nähern sollte, schien für ihn selbst keine uneingeschränkte Gültigkeit zu haben, jedenfalls dann nicht, wenn der Drache tief und fest schlief. Zwei kleine Rauchwolken staubten aus seinen Nüstern hervor, und der Drache ließ ein tiefes Grunzen hören, woraufhin Rajin ein Gefühl überkam, als würde ihm jemand auf den Bauch drücken.
Liisho atmete auf. „Alles in Ordnung“, sagte er.
Rajin trat an den Rand des Plateaus. Von dort konnte er auf die tiefer gelegenen Teile der Ruinenstadt blicken, deren äußerste Viertel bereits vom Dschungel überwuchert waren. Schattenhafte Gestalten schienen sich dort zwischen den verfallenden Gassen zu bewegen.
„Du kannst ganz beruhigt sein, sie kommen nicht hierher“, sagte Liisho. „Aber man sollte sich nicht bei Nacht außerhalb des Bannkreises aufhalten, der nicht viel mehr als dieses Plateau und ein paar angrenzende Ruinen umfasst. Denn die Vergessenen Schatten greifen jeden an, der ihnen begegnet, und so manchen mögen sie schon in den Wahnsinn getrieben haben. Ein Stück weiter die Küste entlang findet sich das Wrack eines Schiffs, das hier offenbar gestrandet ist. Die Menschen an Bord töteten sich gegenseitig in wilder Raserei. Man sieht es noch immer an ihren gebrochenen Knochen und eingeschlagenen Schädel und wie ihre Gebeine daliegen. Eines Tages wirst du vielleicht stark genug sein, dich den Vergessenen Schatten zu stellen, Rajin – aber das wird noch eine ganze Weile dauern.“
„Was sind das für Kreaturen?“, fragte Rajin. „Welcher Fluch hat sie hervorgebracht?“
„Ein Fluch, der deine Familie betrifft, Rajin. Ein Fluch, der auf dem Kaiserhaus lastet. Einst wollten sich die Bewohner von Qô von der Herrschaft des Kaisers von Drakor lossagen und proklamierten das Zeitalter der sechs Reiche. Doch der damals regierende Kaiser Onjin wollte das nicht dulden. Er sandte sein Heer von Drachenreitern aus und hielt ein furchtbares Blutgericht über die Bewohner von Qô. Anderen Provinzen, in denen es vielleicht ähnliche Bestrebungen gab, sollten damit gewarnt und abgeschreckt werden. Was du hörst, sind die Schreie und das Wehklagen derer, die von den Samurai des Kaisers umgebracht wurden. Niemand wurde am Leben gelassen, und für Jahrhunderte betrat niemand die Insel – bis ein späterer Kaiser eine Expedition hierher schickte, um das Land wieder für Drachenia in Besitz zu nehmen. Es gab nämlich Gerüchte darüber, dass die Tajimäer ihre Luftschiffe zur Insel gesandt hätten, und denen wollte man selbst ein unbewohntes Eiland nicht überlassen. Nur ein einziger, halb wahnsinniger Drachenreiter kehrte damals von dieser Insel nach Drachenia zurück und brachte die Kunde von den Vergessenen Schatten. Von einer weiteren Expedition, die zur Insel aufbrach, hörte man nie wieder etwas, und seither gibt es in ganz Drachenia niemanden mehr, der sich freiwillig hierher begeben würde. Genau das macht die Insel für mich zum idealen Versteck …“
„Ich hoffe nur, dass die Wirkung des Zauberbanns nicht nachlässt“, murrte Bratlor, der immer noch dem Chor des schauerlichen Schreiens und Wehklagens lauschte.
„Schlaft jetzt“, bestimmte Liisho.
„Trotz der Stimmen?“, fragte Bratlor mürrisch.
„Ja.“ Liisho trat auf Rajin zu und legte ihm eine Hand auf die Schulter. „Denn Morgen ist ein anstrengender Tag für dich. Du wirst lernen müssen, wie du deine innere Kraft noch besser sammeln und gezielter einsetzen kannst. Noch wärst du zu schwach, um etwa dem Urdrachen Yyuum entgegenzutreten. Aber das wird sich bald ändern. Und was die Stimmen betrifft, so lass sie dir eine
Weitere Kostenlose Bücher