DRACHENERDE - Die Trilogie
Mahnung sein, auf dass du selbst dich nie auf ähnliche Weise versündigen magst wie dein Urahn, wenn du dereinst selbst den Thron in Drakor besteigst.“
„Keine Nacht länger als nötig will ich diese Folter ertragen“, erwiderte Rajin.
„Dann lerne schnell, sodass du dir bald einen eigenen Drachen untertan machen kannst. Einen wilden Drachen wohlgemerkt. Es gibt auf der anderen Seite der Insel eine ganze Herde davon. Danach werden wir ans Festland gehen, um unsere Bundesgenossen zu mobilisieren!“
„Bundesgenossen?“, fragte Rajin erstaunt.
Liisho nickte. „Ja, es gibt solche, die dem Kaiserhaus treu geblieben sind, die aber klug genug sind, ihre Gesinnung nicht öffentlich zu zeigen und im Verborgenen darauf zu warten, dass ein Spross des Hauses Barajans sich anschickt, den Thron zurückzuerobern. Wir werden die Hilfe dieser Bundesgenossen brauchen – bei allem, was wir tun. Aber darum kümmern wir uns nicht mehr in dieser Nacht …“
Liisho wandte sich zum Gehen. Rajins Stimme hielt ihn nach drei Schritten jedoch zurück, und er drehte sich noch einmal um. „Warte, Liisho! Eines sollst du noch wissen!“
„Was?“
„Das, was ich über die Befreiung Nyas gesagt habe, ist mein voller Ernst.“
Liisho zögerte mit der Antwort. Er setzte einmal an, öffnete den Mund und schwieg dann doch zunächst. Schließlich sagte er: „Sollte sich eine Gelegenheit ergeben, sie zu befreien, werde ich darüber nachdenken.“
Bis zum frühen Morgen erwachte Rajin immer wieder durch die Schreie der Vergessenen Schatten. Albträume quälten ihn. Albträume, in denen er das Gemetzel von Qô sah. Er selbst nahm darin die Rolle des damaligen Kaisers ein. Diese Träume mischten sich mit Bildern der Ruinen von Winterborg und Nyas Stimme, die ihm noch einmal von den schrecklichen Dingen berichtete, die dort geschehen waren.
Schweißgebadet erwachte er jedes Mal, nur um draußen die klagenden Stimmen der Vergessenen Schatten zu hören und erneut in einen nicht minder unruhigen Schlaf zu fallen. Am Morgen fühlte er sich, als hätte er die ganze Nacht über kein Auge zugetan.
Liisho hatte einen großen Vorrat Nahrungsmitteln, die er im Kellergewölbe des Kuppelgebäudes aufbewahrte - Fleisch, Beeren und verschiedene Wurzelarten. Der Weise hatte sie mit besonderen Salzen versetzt, deren Gebrauch unter Magiern üblich war und die Fleisch oder Wurzeln angeblich noch länger haltbar machten als Stockseemammut. Dafür war der Geschmack kaum erträglich, aber Bratlor und Rajin hatte so großen Hunger, dass sie das Frühstück dennoch hinunterwürgten.
Nach dem Essen sagte Liisho zu Rajin, er solle sich bereitmachen für einen Drachenritt. „Nimm deinen Stab mit – aber wenn du nicht länger ein Exemplar benutzten willst, das du dir von einem Verräter erobern musstest, so hätte ich noch ein paar für dich zur Auswahl.“
„Nein, danke. Ich werde meinen Stab benutzen und ihn einst an die Familie des Verräters zurückgeben“, kündigte Rajin an.
Liisho runzelte die Stirn, dann aber begriff er: „Wenn schon der Samurai nicht auf der richtigen Seite kämpfte, dann eben sein Drachenstab. Es ist eine sehr großzügige Geste, die du da üben willst, Rajin.“
„Es wird sich herumsprechen“, war Rajin überzeugt, „und es soll sich verbreiten, damit es ein Zeichen für viele andere ist, die jetzt noch bereitwillig dem Mörder meiner Eltern dienen. Denn wie du schon in der letzten Nacht sagtest: Wir sind auf Unterstützung angewiesen. Auf die Unterstützung von Bundesgenossen und solchen, die es vielleicht werden könnten.“
„Allmählich fängst du an, wie ein zukünftiger Kaiser zu denken. Das gefällt mir“, bekannte Liisho. „Allerdings möchte ich dir raten, es mit der Großzügigkeit nicht zu übertreiben.“ Dann wandte er sich an Bratlor und sagte: „Wenn du willst, kannst du uns begleiten. Aber auf eigene Gefahr! Und beklage dich nicht, wenn es dir zu gefährlich werden sollte. Ich werde jetzt nach Ayyaam sehen. Ich denke, dass es ihm heute bereits gut genug geht, um mit ihm zur anderen Seite der Insel zu fliegen.“
„Dorthin, wo die wilden Drachen leben?“, fragte Rajin.
Liisho nickte. „Ganz genau. Wir dürfen keine Zeit verlieren. Sammle schon mal deine innere Kraft, denn du wirst sie gleich brauchen.“
Damit nahm Liisho seinen Drachenstab und machte sich auf den Weg ins Freie.
Wenig später folgten ihm Rajin und Bratlor. Es war ein sonniger Tag. Das helle Licht ließ das
Weitere Kostenlose Bücher