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DRACHENERDE - Die Trilogie

DRACHENERDE - Die Trilogie

Titel: DRACHENERDE - Die Trilogie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Bekker
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war, dass der Meeresgott ihn unbedingt besitzen und seinem Götterbruder Fjendur wegnehmen wollte. So kämpften der Legende nach beide – Fjendur und Njordir – lange Zeit verbissen um diesen Stein, und in den Zeitaltern, die dieser Kampf nun schon währte, hatte Njordir das Land, auf dem der Stein lag, mehrfach überflutet. Doch spätestens wenn die Nächte kürzer wurden und der eisige Nordwestwind blies und Fjendur seine Macht entfaltete, wich Njordirs Einfluss wieder zurück. Zwischen Fjendur und Njordir herrschte eine ewige Schlacht, in der es wohl bis zum Ende der Welt keine Entscheidung geben würde.
    Diese Kultstätte rund um den Stein gemahnte die Menschen von Winterborg daran, dass die zornige Macht des Meeresgottes mit ihren verheerenden Fluten jederzeit zurückkehren konnte und die Seemannen ihr dann hilflos ausgeliefert waren. Aber gleiches galt auch für den eisigen Schneegott Fjendur, dessen Kräfte in der dunklen Jahreszeit anwuchsen und manchmal so übermächtig wurden, dass den Bewohnern Winterborgs der eisige Tod drohte.
    Beide – Njordir und Fjendur – wurden an dieser Stätte um Beistand und Gnade angefleht. Beiden dankte man für das Jagdglück, und insbesondere Njordir wurde dazu aufgefordert, die Gier derer zu dämpfen, die in seinem Element ihr Zuhause hatten – die Wassermenschen.
    Unter den Seemannen gab es keinen Stand von Priestern oder Schamanen, die den ganzen Tag nichts anderes getan hätten, als über die Absichten der Götter zu grübeln. So etwas entsprach mehr den Sitten der südlichen Länder. Es war Aufgabe der Sippenoberhäupter und Kapitäne, sich den Göttern zu stellen.
    Der alte Tworn, ein weißbärtiger Mann mit wettergegerbter Haut, von dem niemand genau wusste, ob er erst neunzig oder schon hundert Jahre alt war, hatte das Amt des Ältesten im Kapitänsrat von Winterborg inne, und so oblag es ihm, die beschwörenden Gebete zu den beiden Göttern des glatten weißen Steins zu schicken. Die gleichmäßige Verteilung der Lobpreisungen auf beide streitende Götter war dabei besonders wichtig, denn die Bevorzugung von einem hätte den Zorn des anderen erregt, was zweifellos zum Schaden der Menschen von Winterborg gewesen wäre.
    Mit zitternder Stimme und voller Inbrunst rief der alte Tworn die Götter an, als das Licht der Sonne bereits zu sehen und das der fünf Monde noch nicht verblasst war. Der Zeitpunkt war also genau richtig, denn die Mondgötter sollten bezeugen, dass Njordir und Fjendur in gleichem Maß und auf gleiche Weise angebetet und verehrt wurden.
    Der ganze Ort nahm an der Zeremonie teil. Nur etwa ein Dutzend Männer waren dazu abgestellt worden, den Kadaver des Seemammuts zu bewachen.
    Trommler schlugen auf bauchige Pauken, die mit der Haut der Scherenrobbe bespannt waren, andere Musiker spielten auf schrill klingenden Zimbeln, auf Flöten aus dem Elfenbein eines Seemammuts oder bliesen den Dudelsack.
    Rajin hatte seinen Platz bei der Sippe und den Gefolgsleuten von Wulfgar Wulfgarssohn eingenommen, während Nya der Zeremonie an der Seite ihrer Sippe beiwohnte. Kallfaer Eisenhammer und sein Gefolge hatten sich am äußersten Rand des Platzes aufgestellt. So weit, dass er der Zeremonie am heiligen Stein fernblieb, ging Kallfaer dann doch nicht. Es war schließlich etwas anderes, ob man nur der Sippe von Bjonn Dunkelhaar und Wulfgar Wulfgarssohn ein Zeichen der Missbilligung gab oder zwei der mächtigsten Götter herausforderte. Ersteres verärgerte höchstens den Geist von Wulfgar Eishaar, der für alle Seemannen in Winterborg eine große Bedeutung hatte. Man betete zu ihm wie zu einem Schutzheiligen. Aber die Geister von beleidigten Toten ließen sich leichter wieder beschwichtigen als beleidigte Götter.
    Als der alte Tworn die Arme hob, verstummten die Instrumente. Tworn skandierte eine traditionelle, noch in der alten Sprache Winterlands gehaltene Formel. Die alte Sprache war inzwischen im täglichen Gebrauch vom Hoch-Seemannischen, der Amtssprache des Seereichs, abgelöst worden. Nur die Greise in abgelegenen Dörfern sprachen noch das alte Winterländisch, das mit dem Hoch-Seemannischen zwar eng verwandt, aber doch deutlich von der Hochsprache verschieden war.
    Mochte sich Letztere durch den zunehmenden Seehandel auf Dauer überall im Seereich durchgesetzt haben, so zweifelte doch niemand daran, dass die alte Sprache bei Ritualen und Beschwörungen und auch bei der Anwendung von Magie eine größere Macht entfaltete.
    „O Fjendur, Gott des Schnees,

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