DRACHENERDE - Die Trilogie
Sukara wieder in ihm auf.
Er öffnete die Augen, aber schon in diesem Moment war ihm klar, dass er nicht wirklich erwacht war, sondern sich in einem Traum befand.
Ein grelles bläuliches Leuchten blendete seine Augen. Etwas wurde aus ihm herausgezogen, und im nächsten Augenblick sah er, dass es eine gewaltige, zweischneidige Axt war, deren Klinge sich offenbar mitten in seinem Kopf befunden hatte.
Eine Gestalt in dunkler Kutte stand neben seinem Lager und stützte sich auf den Stiel der Axt. Das sandfarben leuchtende Oval unter seiner Kapuze ließ keinerlei Zweifel daran, wer er war.
„Natürlich! Traumhenker! Das hätte ich mir denken können!“, sagte Liisho und fragte sich, ob dieser Traum bereits Teil seines immerwährenden Todesschlafs war und er nun den Preis zu bezahlen hatte, den er dem Herrn des Augenmondes dafür versprochen hatte, dass dieser sein Leben über jedes natürliche Maß hinaus verlängert hatte.
Liisho setzte sich auf. Er betrachtete die Haut seiner Hände. Sie war so straff und glatt wie schon seit einem halben Jahrhundert nicht mehr. Er betastete sein Gesicht.
Der Traumhenker hob die monströse Doppelklinge der Axt und hielt sie so, dass Liisho darin sein Spiegelbild sehen konnte. Gleichzeitig durchströmte den Weisen ein Gefühl purer Lebenskraft, wie er es schon seit sehr langer Zeit in dieser Form nicht mehr empfunden hatte.
Er stand auf und ging ein paar Schritte durch den Raum.
„Warum hast du meine Seele nicht vom Körper getrennt, wie es jetzt deine Aufgabe gewesen wäre?“, fragte der Weise schließlich.
„Wer sagt, dass ich das nicht schon getan habe oder noch tun werde?“, gab der Traumhenker zurück und deutete mit einem seiner knorrigen Finger auf das Lager.
Liisho sah mit Entsetzen, dass dort der Körper eines uralten, über hundertjährigen Greises lag. Eines Greises, der Älter zu sein schien als je ein Mensch zuvor und dessen zerfurchte Züge er nur mit Mühe und einem gehörigen Schrecken als die Seinen erkannte.
Der Traumhenker lachte heiser auf.
„Dann geht es jetzt hinauf zum Augenmond?“, fragte Liisho.
„Du hättest dich der Erfüllung unserer Abmachung beinahe entzogen, indem du dich so verausgabtest, dass deine Seele sich um ein Haar völlig aufgelöst hätte …“
„Das war keinesfalls meine Absicht!“
„Gewiss. Aber sei ehrlich: Es wäre kein Nebeneffekt gewesen, den du in irgendeiner Form bedauert hättest. Schließlich weiß ich ja auch, dass du den jenseitigen Heilsversprechen des Unsichtbaren Gottes mit gewisser Skepsis gegenüberstehst. Einer gesunden Skepsis, wie ich finde, denn die paradiesischen Gefilde sind ganz sicher nicht der einzige 0rt, an dem sich nach dem Tod gut verweilen lässt.“
Liisho musterte die Gestalt des Traumhenkers einige Augenblicke lang und sagte dann: „Wenn Prinz Rajin allein und auf sich gestellt seiner Bestimmung folgen muss, wird er sehr wahrscheinlich scheitern.“
„Du hast nicht gerade viel Vertrauen in die Fähigkeiten deines Zöglings, Liisho“, spottete der Herr des Augenmondes.
„Die Zeit wird knapp – und wenn er keinen Erfolg hat, ist alles verloren. Auch für dich, Traumhenker! Denn ich habe noch nichts davon gehört, dass du auch Drachenseelen zu dir auf den Augenmond nehmen würdest!“
„Lieber nicht“, erwiderte der Traumhenker und hob dabei eine seiner dürren Hände, bei denen die Knochen stark hervortraten, sodass man auf den ersten Blick denken konnte, es mit einem Skelett zu tun zu haben. „Schließlich will ich mir keinen Ärger auf den Augenmond holen. Ich bin froh, dass es dort weder Drachen noch Drachenseelen gibt – schaue mir aber gern an, wie sich die Menschen Drachenias damit abplagen, diese ungestümen Kolosse unter ihrem Bann zu halten Es scheint schwieriger zu werden.“ Der Traumhenker lachte kurz auf, und es war sein zynisches, spöttisches Lachen, das Liisho verabscheute.
„Wenn Rajin scheitert, wirst du bald nur noch dem Gebalge dieser Riesen zuschauen können.“
„Ein Theater der besonderen Art, das wahrscheinlich sein Ende findet, sobald der Schneemond herabstürzt.“ Der Traumhenker zuckte mit den schmalen Schultern. „Danach wird Neues entstehen, und vielleicht werden eines Tages andere Rassen die kosmischen Tore durchschreiten und diese Welt besiedeln, wenn die innere Glut der aufgerissenen Drachenerde wieder erkaltet ist und sich die giftigen Winde, die aus ihrem Inneren gestiegen sind, verzogen haben. Dann beginnt alles neu – vielleicht mit
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