DRACHENERDE - Die Trilogie
die Hoffnung hege, dass ich nach Nordwesten mitgenommen werde. Magus wäre mir recht. Vielleicht weiß einer der Magierwissenschaftler, die sich mit den Gebrechen von Veränderten befassen, einen Rat für mich und erlöst mich von der Qual des freien Willens.“
Rajin erhob sich daraufhin ebenfalls. Er machte den Ninjas ein Zeichen, mit dem er ihnen bedeutete, ihre Waffen zu senken. Er wusste nicht weshalb, aber in seinem tiefsten Inneren war er der Überzeugung, dass von diesem Dreiarmigen keinerlei Gefahr ausging. Zumindest nicht für ihn.
„Du empfindest den freien Willen als Qual?“, erkundigte sich Rajin.
„Er hat mich in meine missliche Lage gebracht und einen gehorsamen Diener und geachteten Söldner des Priesterkönigs in einen zweifelnden Geächteten gemacht, der gezwungen ist, die Dunkelheit des Waldes zu suchen, um in Frieden gelassen zu werden.“
„So warst du früher glücklicher dran?“, fragte Rajin.
„Aber natürlich war ich das“, behauptete Koraxxon. „Ich brauchte nur zu tun, wozu man mich beauftragte, und niemand hat verlangt, dass ich über meine Taten nachdenke. Jetzt vergeude ich meine Zeit mit Grübeleien und bin ein Ausgestoßener. Eine positive Bilanz vermag ich da nicht zu ziehen.“
„Wir sind keine Passagierdrachen-Flieger!“, sagte Liisho barsch. „Ich fürchte …“
„Mein Begleiter fürchtet gar nichts auf der Welt“, unterbrach Rajin. „Ich habe nichts dagegen, wenn du uns begleitest.“
Liisho warf dem Prinzen einen grimmig-mahnenden Blick zu, den dieser nicht zu beachten pflegte.
„Bezahlen kann ich mit meiner Kampfkraft und meinem Schutz, den ich eurer Gruppe zur Verfügung stelle, solange ich mit euch reise.“
Rajin hörte Andongs leisen, aber dafür umso galligeren Kommentar: „Als ob wir auf den Schutz dieses Kerls angewiesen wären!“
Koraxxon streckte die riesige Pranke seines Axtarms dem Prinzen entgegen. „Bist du einverstanden?“, fragte er – und Rajin schlug ein.
10. Kapitel
Das Leere Land
Koraxxon bekam seinen Anteil an der Fleischmahlzeit, die von den Ninjas erjagt worden war. Darauf, dass er der Mahlzeit der Ninjas beiwohnte, reagierte Andong mit erkennbarem Widerwillen. Das hatte nicht nur mit seiner allgemeinen Abneigung gegen den Dreiarmigen zu tun, sondern auch damit, dass er gezwungen war, in Anwesenheit eines Feindes seine Maskierung abzunehmen. Und das brachte angeblich Unglück.
Beim Essen und Trinken legten die Ninjas immerhin ihre Gesichtsmasken ab. Die meisten hielten sich dabei absichtlich außerhalb des Feuerscheins, damit ihr Antlitz nicht zu sehen war.
Eine absurde Tradition, dachte Rajin. Aber sie schien diesen Männern etwas zu bedeuten. Nicht einmal der zukünftige Kaiser Drachenias sollte die Gesichter jener Männer sehen, die bereit waren, sich notfalls für ihn zu opfern. Seitdem sich der Glaube an den Unsichtbaren Gott in Drachenia verbreitet hatte, war ein wahrer Kult um die Gesichtslosigkeit der Ninjas entstanden, denn schließlich war auch das Gesicht des Unsichtbaren Gottes nicht bekannt, sodass die Ninjas eine göttliche Eigenschaft für sich reklamieren konnten. In der Kirche von Ezkor war darüber unter der Priesterschaft ein heftiger Streit ausgebrochen. Aber der Priesterschaft waren die Ninjas wohl vor allem deswegen suspekt, weil sie eine der wenigen Institutionen im Land Drachenia waren, auf die der Klerus des Unsichtbaren Gottes keinen Einfluss hatte.
„Ich bin nicht euer Feind“, wandte sich Koraxxon an Ganjon. „Vielleicht wäre ich es gewesen, hätte der Krieg früher begonnen, als ich noch Angehöriger des priesterköniglichen Heeres war.“
„Du bist anscheinend mit den Gebräuchen der Ninjas vertraut“, stellte Ganjon fest.
„Ich habe davon gehört“, gab der Dreiarmige zurück. „Obwohl ich zugeben muss, heute zum ersten Mal so viele von euch von Angesicht zu Angesicht gegenüberzustehen.“
„Und dabei kannst du froh sein, noch am Leben zu sein.“
„Vielleicht lässt sich von euch dasselbe sagen.“
Ganjon lachte. „Offenbar mangelt es dir nicht an Selbstvertrauen. Das gefällt mir.“
„So wie es mir gefällt, dass jemand zu eurem Trupp gehört, der die Augenfarbe eines Seemannen hat. Da wird euren Männern jemand mit drei Armen und einer purpurnen Schuppenhaut auch nicht fremdartiger vorkommen.“
Ganjon stutzte zunächst. Eine so genaue Beobachtungsgabe hatte er dem eher plump wirkenden und ungestüm auftretenden Dreiarmigen nicht zugetraut. Dann aber
Weitere Kostenlose Bücher